Weber und Fechner

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Status mit Fachliteratur angelegt
AutorIn/RedakteurIn Martina Huth, Stefan Knobel/Andreas Borrmann
Letzte Änderung 22.07.2024


Zusammenfassung:
Dieser Artikel von Martina Huth und Stefan Knobel wird in der Trainerbildung Stufe 1 der EKA verwendet. Das Weber-Fechner-Gesetz wurde vor etwa 150 Jahren von Gustav Theodor Fechner formuliert und ist für das Bewegungslernen in Kinaesthetics wichtig. Bereits Ernst Heinrich Weber entdeckte, dass, je höher die Spannung ist, desto unsensibler deren Wahrnehmung wird. Fechner und sein Kollege Weber waren Pioniere der experimentellen Psychologie und entwickelten Methoden, um die menschliche Wahrnehmung zu untersuchen. Ihr Gesetz besagt, dass die Empfindungsstärke mit dem Logarithmus der physikalischen Reizstärke wächst. Diese Erkenntnisse beeinflussen das Bewegungslernen und die Bewegungskompetenz, indem sie zeigen, wie Menschen feine Unterschiede wahrnehmen und ihre Anstrengung anpassen können.

„Das Weber-Fechner-Gesetz

Vor gut 150 Jahren formulierte Gustav Theodor Fechner (1801–1887) im Rahmen der Psychophysik das Weber-Fechner-Gesetz. Dieses Gesetz ist für das Bewegungslernen in Kinaesthetics von großer Bedeutung.

Je höher die Spannung, desto unsensibler

Jede TeilnehmerIn eines Kinaesthetics-Grundkurses macht in Bezug auf die Wahrnehmung mit dem kinästhetischen Sinnessystem eine interessante Entdeckung. Je höher die Spannung ist, umso undifferenzierter ist die Erfahrung, die man von einer bestimmten Aktivität machen kann. Wenn man sich zum Beispiel mit wenig Körperspannung von Rückenlage in Seitenlage dreht, kann man diese Fortbewegung sehr differenziert wahrnehmen und feine Unterschiede ausmachen. Bei gleicher Aktivität und hoher Körperspannung ändert sich das: Es wird viel schwieriger, detaillierte Unterschiede zu beschreiben. Warum es sich so verhält, ist seit über 150 Jahren bekannt.

Psychophysik

Mitten in der kontroversen Diskussion um Darwins Evolutionstheorie begründete G. T. Fechner 1860 die neue Disziplin der Psychophysik mit dem Ziel, die seit Jahrhunderten geltende Trennung der Erklärung von Körper und Geist aufzuheben. Zuvor hatte man versucht, Fragen rund um den menschlichen Körper mit physikalischen Gesetzen, Fragen nach dem Geist oder der Seele mit göttlichen Prinzipien zu beantworten.
Wegen der sehr kontroversen wissenschaftlichen Diskussionen (Glaubens- oder Wissenschaftsparadigma), die in der damaligen Zeit geführt wurden, hatten es viele Wissenschaftler nicht leicht. So auch die beiden Namensgeber des Weber-Fechner-Gesetzes, Gustav Theodor Fechner (1801–1887) und Ernst Heinrich Weber (1795–1878). Die beiden Männer sind wichtige Pioniere der experimentellen Psychologie, und ihre Erkenntnisse werden noch heute in Bewegungskonzepten wie der Feldenkrais-Pädagogik oder Kinaesthetics berücksichtigt.

Worum geht es?

Als Naturforscher versuchten Weber und Fechner die Sinnesleistung des Menschen zu messen. Sie waren von der Idee überzeugt, dass es möglich sein müsse, durch Experimente die Grundprinzipien der menschlichen Wahrnehmung quantitativ, also mit mathematischen Methoden bzw. Formeln ausdrücken zu können. Nach und nach entwickelten sie experimentelle Methoden, um Sinnesempfindungen durch die Sinne einschließlich des kinästhetischen Sinns (Bewegungssinns) zu untersuchen. Da sie sich damals noch nicht auf bildgebende Verfahren oder elektronische Messungen stützen konnten, mussten sie in ihren Versuchsreihen mit dem Zusammenhang zwischen physikalischen Reizen (Töne, Licht, Gewicht usw.) und dem subjektiven Erleben der ProbandInnen (z. B. lauter – leiser – nicht hörbar) arbeiten. Die von Fechner entwickelten Methoden sind zum Teil noch heute gebräuchlich. Beim sogenannten ‚Grenzverfahren‘ variiert die VersuchsleiterIn die Intensität eines Reizes und die ProbandIn gibt an, ob sie diesen wahrnimmt bzw. von einer anderen Reizintensität unterscheiden kann. Wird ein Reiz wahrgenommen, verringert die VersuchsleiterIn die Reizstärke, wenn nicht, erhöht sie diese. Der Mittelwert aller Wendepunkte markiert die sogenannte absolute Wahrnehmungsschwelle, d. h. die kleinste Reizintensität, die nötig ist, damit ein Reiz überhaupt wahrgenommen werden kann.
Eine Variante stellt die ‚Herstellungsmethode‘ dar. Dabei wird die Intensität des Reizes nach der Anweisung der ProbandIn oder durch sie selbst verändert, bis sie glaubt, die absolute Schwelle angeben zu können. Der Versuch wird mehrmals wiederholt, und der Mittelwert aller Angaben ergibt die absolute Wahrnehmungsschwelle.
Schon 1834 entdeckte E. H. Weber, dass es bei der Wahrnehmung von unterschiedlichen Reizintensitäten Schwellen des gerade noch wahrnehmbaren Unterschieds (just noticeable difference) gibt. Solche ‚Unterschiedsschwellen‘ bezeichnen den kleinsten Unterschied zwischen zwei Reizintensitäten, der gerade noch wahrgenommen werden kann. Webers große Entdeckung war, dass die Unterschiedsschwellen stets von der Intensität des vorangehenden Reizes abhängen und diese Unterschiede in einem nahezu konstanten mathematischen Verhältnis zu den Ausgangsreizen stehen. Das bedeutet: Je stärker der Ausgangsreiz ist, desto größer muss der Unterschied ausfallen, damit er überhaupt wahrgenommen werden kann. In der Fachliteratur wird dieses Verhältnis heute mit dem Begriff ‚Webersche Konstante‘ bezeichnet. Mit einem Beispiel ausgedrückt: Wenn ein Gegenstand 100 Gramm schwer ist, muss ein zweiter mehr als 2,5 Gramm schwerer sein, damit ein Unterschied im Gewicht der beiden Gegenstände wahrgenommen werden kann. Ist nun ein Gegenstand 1 Kilogramm schwer, muss nach dem Weberschen Gesetz ein zweiter Gegenstand 25 Gramm schwerer sein, damit er als schwerer empfunden werden kann. Mit anderen Worten: Der Mensch kann Veränderungen der Reizintensität nicht wie ein technischer Sensor linear unterscheiden, sondern nur im Verhältnis zum vorausgehenden Reiz.
Konkret beträgt beim Tastsinn der erforderliche relative Zuwachs etwa 3 % des Hautdrucks, beim Helligkeitssehen braucht es etwa 1 bis 2 % der Lichtstärke. Beim Geschmack muss die Konzentration um 10 bis 20 % steigen, um als stärker empfunden zu werden. Mit dem kinästhetischen Sinnessystem kann ein Gewichtsunterschied erst ab einer Abweichung von ungefähr 2,5 % wahrgenommen werden, was sich auch im persönlichen Experiment nachvollziehen lässt. Die Unterschiedsschwelle liegt für die Muskeln bei mindestens einem Vierzigstel der aktuellen Anstrengung.
Fechner knüpfte in seiner Arbeit an diese Erkenntnisse von Weber an. Er interessierte sich für den Zusammenhang zwischen der physikalischen Reiz- und der subjektiven Empfindungsintensität. Seine heute als ‚Weber-Fechner-Gesetz‘ bekannte Formel besagt, dass die Empfindungsstärke mit dem Logarithmus der physikalischen Reizstärke wächst. Das bedeutet (in einem bestimmten Spektrum): Wenn man die physikalische Intensität eines Reizes verdoppelt, wird das nicht als Verdoppelung empfunden. Verändert sich die physikalische Reizintensität im niedrigen Bereich, fällt ein geringer Zuwachs viel stärker ins Gewicht, als wenn sie im höheren Bereich zunimmt: Hier flacht die Empfindungsstärke ab. In späterer Zeit entdeckte S. T. Stevens (1906–1973), dass sich dieser Zusammenhang manchmal auch ganz anders darstellt und verallgemeinerte mit seinem Potenzgesetz die Formel von Fechner.

Bedeutung für das Bewegungslernen

Die Erkenntnisse aus diesen Forschungsprozessen der Psychophysik finden Anwendung in verschiedenen Schulen des Bewegungslernens. Ein Beispiel dafür ist der Physiker und Begründer der gleichnamigen Bewegungslehre Moshé Feldenkrais (1904–1984). Er beschäftigte sich mit Neurophysiologie sowie Neuropsychologie und veröffentlichte seine Erkenntnisse in vielen Schriften, unter anderem in seinem grundlegenden Buch mit dem Titel ‚Body and Mature Behaviour". Er erkannte schon um 1940 die Bedeutung der physikalischen Gesetzmäßigkeiten für die Bewegungsökonomie und das Lernen von Menschen. Er übertrug die Erkenntnisse von Weber und Fechner auf seine Arbeit und stellte fest, dass sich durch die Sensibilisierung der kinästhetischen Selbstwahrnehmung grundlegende Funktionen verbessern und Verhaltensänderungen leichter erreichen lassen. Eine wichtige Rolle spielt dabei, sich für ein möglichst großes Spektrum von Unterschieden zu sensibilisieren, indem man die eigene Anstrengung bewusst und angepasst regulieren lernt. Für die meisten Menschen besteht die Herausforderung darin, ihre Anstrengung verringern zu lernen.
Auch im Entwicklungs- und Lernverständnis von Kinaesthetics spielen die Erkenntnisse von Weber und Fechner eine wichtige Rolle. Eine zentrale Annahme in Kinaesthetics ist, dass Menschen durch die Auseinandersetzung mit Unterschieden lernen. In diesem Zusammenhang helfen uns die Grundlagen der Psychophysik besser zu verstehen, wie ein Mensch sein Verhalten steuern bzw. seine Aktivitäten anpassen kann. Dies hängt maßgeblich von der Höhe seiner Grundspannung ab. Grundsätzlich gilt: Je höher seine Grundspannung ist, umso größer ist der relative Unterschied, der für ihn überhaupt wahrnehmbar ist, desto ‚grober‘ fallen seine Anpassungen aus. Das bedeutet, dass ein Mensch über mehr Möglichkeiten in seinem Verhalten verfügt, je besser er in der Lage ist, seine Spannung gezielt an eine Situation anzupassen.
In Bezug auf das Bewegungslernen und die Entwicklung der Bewegungskompetenz lässt sich feststellen: Wenn Menschen ihre Sensibilität vergrößern, entwickeln sie die notwendige Fähigkeit zum Bemerken von angepassten und feinen Unterschieden, was leichter zu Verhaltensänderungen führt. Sie können mit dieser Sensibilität aktiv und selbstgesteuert aus einer Vielzahl von Möglichkeiten eine Entscheidung treffen, wie sie eine bestimmte Tätigkeit ausführen.
Kinaesthetics geht davon aus, dass diese Erkenntnisse auch in der Bewegung mit einer anderen Person genutzt werden können.“

Kurzbiografien

„Ernst Heinrich Weber

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Ernst Heinrich Weber wurde am 24. Juni 1795 in Wittenberg (Sachsen-Anhalt) geboren. Er studierte in Wittenberg und Leipzig und wurde 1818 zum außerordentlichen Professor für vergleichende Anatomie ernannt. Er beschäftigte sich in seinem Forscherleben mit der mikroskopischen Anatomie, der Entwicklungsgeschichte von Tieren und machte eine sehr bedeutende Untersuchung zur Mechanik des menschlichen Gehens. Als Lehrer, Kollege und Freund arbeitete er zusammen mit Gustav Theodor Fechner im Rahmen der Psychophysik und legte damit einen Grundstein für die heutige Psychologie. Die sogenannte Webersche Konstante ist ein bleibendes Resultat seiner Arbeit.
Er starb am 26. Januar 1878 als Mitglied des Ordens ‚Pour le mérite für Wissenschaft und Künste‘ und Ehrenbürger der Stadt Leipzig.


Gustav Theodor Fechner

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Gustav Theodor Fechner wurde am 19. April 1801 in Großsärchen (Sachsen) geboren. Er studierte in Leipzig Physiologie und Algebra und eignete sich sein umfassendes Wissen in verschiedenen Wissenschaftsgebieten weitgehend als Autodidakt an. 1835 wurde er Direktor des ersten physikalischen Institutes von Deutschland in Leipzig. In den 1860er-Jahren gründete er die Forschungsrichtung der Psychophysik, welche die Basis für die heutige Verhaltensforschung und Psychologie legte. In seinem 1876 veröffentlichten Buch ‚Vorschule der Ästhetik‘ vertrat er als erster auf diesem Gebiet den induktiven Forschungsansatz (vom Phänomen zur allgemeinen Theorie).
Es gelang ihm, Prinzipien des menschlichen Verhaltens zu beschreiben, die noch heute ihre Gültigkeit haben – unter anderem das Weber-Fechner-Gesetz. Er starb am 18. November 1887 als Ehrendoktor der Medizin und Ehrenbürger der Stadt Leipzig.

Quellen

Ahlers, M.-T. (2005): Psychophysik – Einführung in einige Grundgedanken Webers, Fechners und Stevens.
Ayan, S.: Stimulus inspirans (2007). In: Gehirn & Geist 5, 2007, S. 22–27.
Feldenkrais, Moshe (2006).: Die Feldenkraismethode in Aktion. 7. Auflage. Paderborn: Media-Print.
Holm, M.(1999): Do you feel the difference? Der Beitrag der Feldenkrais-Methode zur Gesundheitsförderung. Diplomarbeit im Studiengang Psychologie, Universität Bremen.
Huth, M. (2007): Kinaesthetics. Ein Schulungskonzept zur Anbahnung von Diplomarbeit im Studiengang Pflegepädagogik, Fachhochschule Bielefeld.
Institute for Human Development (IHD) (n.d.): Rahmen-Curriculum Kinaesthetics Dornbirn: IHD Human Development Research GmbH. Karl, C. (1993): Vorstellungen vom Lernen bei Feldenkrais. In: Kinästhetik-Bulletin 20/1993, S. 8–10.
Maietta, L.: Kinästhetik (1986). In: Kinästhetik–Bulletin 10/1986, S. 16–19.
Smith, K. U. & Smith, T. J. (1999): Wissenschaftliche Beiträge der Verhaltenskybernetik: Eine Perspektive. Kinästhetik Zeitschrift 5/1999, S. 45–76.
Zimbardo, P. G. (1995): Psychologie. 6. Auflage. Berlin: Springer Verlag.“

Weiterführende Literatur und Medien

https://de.wikipedia.org/wiki/Weber-Fechner-Gesetz

Studien über das Weber-Fechner'sche Gesetz.

http://www.ewald-gerth.de/Weber-Fechner.pdf

https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/fechnersches-gesetz/4830

https://lexikon.stangl.eu/2818/weber-fechnersche-gesetz

Vergleiche auch