Konzept (Begriff)

Aus Kinaesthetics-Online-Fachlexikon
Status mit Fachliteratur angelegt
AutorIn/RedakteurIn Stefan Marty-Teuber/Lutz Zierbeck
Letzte Änderung 25.08.2023


Zusammenfassung:
Dieser Artikel ist mit Fachliteratur angelegt. Das erste Zitat stammt aus der Zeitschrift „lebensqualität 04/2013“. Es ist ein Artikel mit dem Titel „Konzept: Von der Empfängnis zum ersten Wurf“ aus der Serie „wörterwurzeln“ von Stefan Marty-Teuber. Er erläutert Entstehung und heutige Verwendung des Begriffes Konzept, der in der Kinästhetik in Verbindung mit dem differenzierten Studium von Bewegung und Aktivitäten eine wichtige Rolle spielt. Das zweite Zitat stammt aus dem Buch „Kinästhetik – Gesundheitsentwicklung und menschliche Aktivitäten“ von Frank Hatch und Lenny Maietta.

1 Konzept in der Zeitschrift „lebensqualität 04/2013“

„Ein System von Konzepten bildet ein Kernstück von Kinaesthetics. „Wie wird der Begriff ‚Konzept‘ heute verwendet und worauf geht er zurück?" Diesen Fragen geht Stefan Marty-Teuber im zweitletzten Beitrag seiner Serie „wörterwurzeln“ nach.
Konzeptlos. Wenn Ihnen eine ExpertIn während einer praktischen Prüfung zuflüstert: ‚Sie sind ja völlig aus dem Konzept geraten, so konzeptlos wie Sie vorgehen. Nehmen Sie sich zusammen, kapiert?‘, wissen Sie, dass Ihr Vorgehen offensichtlich als planlos und nicht einem sinnvollen Ganzen dienend aufgenommen wird. Das kann daran liegen, dass Sie auch aus Ihrer Sicht den roten Faden verloren haben, aber auch daran, dass man von außen schlecht feststellen kann, wie Sie das Ganze konzipiert haben, oder dass Ihre Leitidee, Ihr das Ganze zusammenfassende innerer Entwurf ganz und gar nicht mit demjenigen der PrüfungsexpertIn übereinstimmt. Auf jeden Fall passt der ExpertIn Ihr Verhalten nicht ins Konzept, was – in gewissem Gegensatz zu der bisher präsentierten Verwendung von Konzept/konzipieren, in der es um einen skizzenhaften, nicht sehr präzisen Gesamtentwurf geht – dann schon heißt, dass es nicht ihrem klar umrissenen Plan, ihrem Programm der Prüfung entspricht. In dieser Zweitbedeutung sprechen z. B. Parteien davon, ein klares bildungspolitisches Konzept zu haben.
Empfängnis. Zu guter Letzt ist das Gezische der PrüfungsexpertIn ein kleines Spiel meinerseits mit der Bedeutung und Etymologie von Konzept/konzipieren. Diese Wörter setzen sich zusammen aus lateinisch ‚con-’ (‚zusammen-, vollständig …’, oder nur zu Verstärkung verwendet) und ‚cápere’ (‚fassen, greifen, ergreifen, nehmen’). In der übertragenen Bedeutung ‚begreifen, verstehen’ lebt das lateinische Verb im umgangssprachlichen Wort ‚kapieren’ weiter. Als im späten Mittelhochdeutschen ‚konzipieren’ aus lateinisch ‚concípere’ entlehnt wurde, hatte dieses Verb die Bedeutungen ‚eine Grundvorstellung von etwas entwickeln; entwerfen, (einen ersten Wurf) verfassen’ – und in medizinischem Kontext ‚schwanger werden’. Letzteres hallt in unseren gleichbedeutenden medizinischen Fachwörtern ‚Konzeption/konzipieren’ und in den Wörtern einiger romanischen Sprachen für ‚Empfängnis’ nach, z. B. in Spanisch ‚concepción’. Im klassischen Latein umfasste das Bedeutungsspektrum von ‚concípere’ auch ‚in sich aufnehmen, empfangen’. Davon ausgehend wurde das Verb für das Empfinden, Fühlen bis hin zum geistigen Erfassen und Erkennen verwendet, in der medizinischen Fachsprache auch für das Empfangen von Samen, das Schwangerwerden (lateinisch ‚conceptio’). Das Wort Konzept selbst leitet sich von lateinisch ‚conceptus’ her, einem eher seltenen Substantiv, das die Tätigkeit und das konkrete Resultat des ‚concípere’ bezeichnet.
Familie, Wurzel und Verwandte. Ableitungen von und Zusammensetzungen mit ‚capere’ waren im Lateinischen sehr gängig und leben in großer Vielzahl in den modernen Sprachen weiter. Es sei auf einige prominente Mitglieder dieser Familie hingewiesen: ‚accípere/acceptáre’ (annehmen) und akzeptieren, akzeptabel, ‚recípere’ (wieder aufnehmen) und Rezept, rezipieren, Rezeption, ‚capácitas’ (Fassungsvermögen) und Kapazität, ‚prínceps’ (den ersten Platz einnehmend) und Prinz, Prinzip, prinzipiell, ‚mancipium’ (Mit-der- Hand-Nehmung, ein juristischer Fachbegriff) und emanzipiert, was sozusagen ‚aus der Hand/Gewalt genommen’ heißt. Natürlich ist diese stattliche und langlebige Familie kein Wunder, wenn man bedenkt, wie grundlegend und ihn selbst spezifizierend die Tätigkeit des (Er-)Fassens und (Be-)Greifens für den Menschen ist, sei es nun konkret oder abstrakt. Und darum gehört mit großer Wahrscheinlichkeit auch das deutsche Wort ‚Haupt’ zur Familie. Es geht zurück auf lateinisch ‚cáput’ (Genitiv: cápitis; vgl. Kapitalverbrechen u. a.), das auch im Altindischen und mit einer formalen Abweichung in griechisch ‚kephalé’ (vgl. Enzephalitis) belegt ist. Hier kommt wieder die Bedeutung ins Spiel, die beim Wort Kapazität aufscheint: An erster Stelle bezeichnet dieses das Fassungsvermögen eines Gefäßes und erst übertragen eine sachkundige Person mit überragender geistiger Fassungskraft. Ganz entsprechend bezeichnet das Wort ‚Hafen’, das auf unsere indoeuropäische Wurzel ‚*kap-’ (fassen, (er)greifen, nehmen) zurückgeht, eine sichere Umfassung für Schiffe, im ganzen süddeutschen Sprachraum aber auch einen Topf, den ich als Kind für die Notdurft gebraucht habe. Und dass die schalenartige Form des Kopfes Anlass zu seiner Benennung geben kann, zeigt sich beim Wort ‚Kopf’, das von lateinisch ‚cuppa’ (Becher, vgl. englisch ‚cup’) herkommt, ebenso wie bei französisch ‚tête’ aus lateinisch ‚testa’ (Schale).
Heb d’Schnorre! Im Sinne der Völkerverständigung möchte ich noch auf einen letzten Sprössling hinweisen: Das deutsche Verb ‚heben’ gehört eindeutig zu unserer Wurzel ‚kap-’ – unsicher ist übrigens ihre Verbindung zu ‚haben’ –, hat aber ebenso eindeutig eine Bedeutungsentwicklung zu ‚in die Höhe bringen’ durchgemacht, die sich in allen germanischen Sprachen zeigt, so z. B. in schwedisch ‚häva’, englisch ‚to heave’, woher wiederum deutsch ‚hieven’ kommt. Die SchweizerInnen haben typischerweise nur halbbatzig mitgemacht: Wenn Sie in der Schweiz hören: ‚Heb emool!’, versuchen Sie nicht, etwas in die Höhe zu stemmen, sondern nehmen Sie getrost den betreffenden Gegenstand in die Hände und halten Sie ihn mal (‚emool’ heißt ‚einmal’). Konfrontiert mit dem groben Ausdruck ‚Heb d’Schnorre!’ ist es sehr empfehlenswert, nicht weiterzusprechen, d. h., den Mund nicht höher, sondern einfach geschlossen zu halten. Das Schweizerdeutsche hat kurzum auf dem Weg von ‚fassen’ zu ‚hochheben’ beim Zwischenschritt ‚halten’ angehalten.
Die Kinaesthetics-Konzepte. Wie aber wird der Begriff ‚Konzept’ in Kinaesthetics verwendet? Kybernetisch gedacht, genau so, wie ihn die einzelne SprecherIn verwendet und für sich definiert. So wird der Begriff bei den einen nicht viel mehr als ‚Kapitel, Thema’ bedeuten, bei anderen vielleicht ‚Gesamtentwurf, Gesamtskizze’, bei dritten vielleicht eher ‚klar umrissenes Programm’. Meine persönliche Lieblingsbedeutung schließt sich an die Definition des Begriffs durch das Ehepaar Bobath an. Offenbar wählten die beiden bewusst den Begriff Konzept, um auszudrücken, dass ihr Anliegen als Gesamtskizze der ständigen Weiterentwicklung und individuellen Anpassung bedürfe, was mir auch für die Kinaesthetics-Konzepte sehr passend erscheint. In der Praxis entscheidend und wichtig sind aber nicht meine Meinung, meine hier versammelten Wörter und Wurzeln, sondern Ihre persönliche Verwendung und Definition des Begriffs – die Sie natürlich in der Auseinandersetzung mit anderen und anderem leichter herausfinden und überprüfen können.“

Quelle: Marty-Teuber, Stefan (2013): Konzept: Von der Empfängnis zum ersten Wurf. In: lebensqualität. Die Zeitschrift für Kinaesthetics. 2013, Nr. 4. S. 32–33.

2 Konzept in „Kinästhetik – Gesundheitsentwicklung und menschliche Aktivitäten“

Das Zitat ist eingebettet in das Unterkapitel „3.1 Anwendung der sechs kinästhetischen Konzepte in der professionellen Pflege“. Es gibt Hinweise darauf, wie die AutorInnen den Begriff Konzept verwenden.

„Die Kinästhetik verfolgt den Zweck, Menschen zu helfen, die Aktivitäten des täglichen Lebens effizienter und effektiver zu erarbeiten und auszuführen. Wir haben die kinästhetische Analyse auf die Betrachtung von Verhaltensmustern aus der Perspektive der oben genannten sechs Konzepte reduziert. Jedes dieser Konzepte beschreibt eine Kombination von Ressourcen, die genutzt werden können, um ein Verhalten erfolgreich durchzuführen. Die kinästhetischen Konzepte sind nützliche Instrumente zur Analyse Ihrer eigenen Bewegungsressourcen und zur Erforschung der Ressourcen Ihres Patienten. Sie ermöglichen es, mit den Patienten auf eine Art und Weise zu kommunizieren, die diesen eine gezielte Hilfe bietet, während des Prozesses der Ausführung ihrer menschlichen Aktivitäten mehr Kontrolle über ihre eigene Bewegung zu erlangen.“

Quelle: Hatch, Frank; Maietta, Lenny (2003): Kinästhetik. Gesundheitsentwicklung und menschliche Aktivitäten. Übersetzung: Ute Villwock, Elisabeth Brock. 2., komplett überarbeitete Auflage. München, Jena: Urban und Fischer. ISBN 978-3-437-31467-4. S. 36.

3 Kommentare, Auswertung und offene Fragen

Das Wort Konzept wird meist mit den 6 Konzepten der Kinästhetik (Konzeptsystem) verbunden. Der Begriff wird aber auch auf das ganze Fachgebiet angewandt, z. B. von Christel Bienstein im Geleitwort zur ersten Auflage des Buches „Kinästhetik. Gesundheitsentwicklung und menschliche Aktivitäten.“

„Beide Autoren haben, als ich sie vor 15 Jahren kennenlernte, sicherlich nicht daran gedacht, dass ihr Konzept eine so grundlegende und weitreichende Bedeutung für pflegebedürftige Menschen entwickeln würde. Das Konzept entwickelte sich Schritt für Schritt mit ihnen weiter, hierbei waren nicht zuletzt die Menschen hilfreich, die sich mit auf den Weg machten, die Kinästhetik in die verschiedenen Felder der Pflege zu übertragen.“[1]

4 Einzelnachweise

  1. Hatch, Frank; Maietta, Lenny (2003): Kinästhetik. Gesundheitsentwicklung und menschliche Aktivitäten. Übersetzung: Ute Villwock, Elisabeth Brock. 2., komplett überarbeitete Auflage. München, Jena: Urban und Fischer. ISBN 978-3-437-31467-4. S. XIII.