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Parallele und spiralige Bewegungsmuster

Status vorläufig abgeschlossen
AutorIn/RedakteurIn Mária Pfemeter, Stefan Marty-Teuber/Lutz Zierbeck
Letzte Änderung 14.03.2024


Zusammenfassung:
Dieser Artikel behandelt die aktuelle Verwendung des kinästhetischen Fachbegriffs „Parallele und spiralige Bewegungsmuster“ in ausgewählter Fachliteratur. Dabei werden die Zusammenhänge mit der funktionalen Anatomie und der frühkindlichen Bewegung aufgezeigt. In einem zweiten Teil wird die Geschichte des Fachbegriffs sehr detailliert dargestellt. Sie gibt einen spannenden Einblick in die Entwicklung der fachsprachlichen Beschreibung der Bewegungsmuster und ihre allmähliche Konsolidierung. Abschließend die begrifflichen Aspekte des Themas dargestellt.

1 Aktuelle Verwendung des Fachbegriffs

1.1 „Parallel und spiralig“ in „Kinaesthetics – Konzeptsystem“

1.1.1 Parallele und spiralige Bewegungsmuster

1.1.1.1 Einbettung
Das zugehörige Konzepticon[1] symbolisiert Folgendes: Je nachdem, wie wir die Kombination der scharnierartigen Haltungsbewegung um eine Achse mit der mehr drehenden, eher kugelgelenkartigen Transportbewegung nutzen, entstehen parallele oder spiralige Bewegungsmuster.

Die Unterscheidung zwischen parallelen und spiraligen Bewegungsmuster wird im Buch „Kinaesthetics – Konzeptsystem“ im Kapitel „3.2. Parallele und spiralige Bewegungsmuster“[2] thematisiert. Es ist das zweite Unterthema des dritten Konzeptes „Menschliche Bewegung“[3] und baut auf dem vorangehenden Unterthema „3.1. Haltungs- und Transportbewegung“[4] auf.

1.1.1.2 Grundsätzliche Vielfalt der Bewegungsmuster und individuelle Einschränkung

An erster Stelle wird darauf hingewiesen, dass unsere Anatomie grundsätzlich eine unbeschränkte Vielfalt von Bewegungsmustern erlaubt. Im Lauf unseres Lebens lernen wir aber, sich wiederholende alltägliche Aktivitäten auf unsere individuelle und stets ähnliche Art und Weise auszuführen, d. h. in bestimmten Mustern, die für unser Bewegungsverhalten auch typisch sind. Dadurch schränken wir die grundsätzlich mögliche Vielfalt von Bewegungsmustern in einem individuellen Lernprozess ein.[5]

1.1.1.3 Nutzen und Problematik individueller Bewegungsmuster

Unsere gewohnten Bewegungsmuster ermöglichen uns, alltägliche Aktivitäten passend auszuführen. Das heißt, wir müssen uns nicht darauf konzentrieren, wie wir etwas tun, sondern meistern dank ihnen auch Situationen, die eigentlich recht anspruchsvoll sind – z. B. auf ein Fahrrad steigen und losfahren oder eine Münze vom Boden aufheben –, problemlos und selbstverständlich auf unsere gewohnte Art und Weise.

Problematisch ist es, wenn wir in unseren gewohnten Bewegungsmustern unsere Anatomie nicht ihren Funktionen entsprechend einsetzen und alltägliche Aktivitäten nicht auf eine angepasste Weise ausführen. Um ein Beispiel hierfür zu ergänzen: Wenn wir öfters schwere Gegenstände herumtragen müssen und ihr Gewicht nicht über unsere Knochenstrukturen abgeben, kann dies bekanntlich zu Abnutzungserscheinungen und muskuloskelettalen Beschwerden führen.

Gemäß dem Text können sich unsere gewohnten Bewegungsmuster insbesondere dann als destruktiv erweisen, wenn sich unsere Situation verändert. Um ein Beispiel hierfür zu ergänzen: Wenn wir an einem Hexenschuss leiden, wissen wir kaum mehr, wie wir uns setzen oder stehen, geschweige denn eine Münze vom Boden aufheben sollen. Wenn wir es auf unsere gewohnte Weise zu tun versuchen, schießt Schmerz ein, und alle Muskeln verkrampfen sich. Dies schlägt leicht auf unser gesamtes Wohlbefinden. Aus dem Text lässt sich erschließen, dass es in einer solchen Situation gilt, neue und funktional möglichst angepasste Muster zu finden.[6]

1.1.1.4 Bewusstsein für das Zusammenspiel von Haltungs- und Transportbewegungen in den Bewegungsmustern

Abschließend wird in der Einleitung zu den parallelen und spiraligen Bewegungsmustern ausgeführt, dass sich unsere meist unbewussten und individuellen Bewegungsmuster daraus ergeben, wie wir das Zusammenspiel von Haltungs- und Transportbewegungen nutzen. Wenn wir es uns bewusst machen, wie diese Bewegungskomponenten in unseren Bewegungsmustern subtil zusammenspielen, können wir fähig werden, unser Spektrum von Bewegungsmustern zu erweitern und sie an die Anforderungen unterschiedlichster Situationen konstruktiv anzupassen.[7]

1.1.1.5 Parallele Bewegungsmuster
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Das parallele Bewegungsmuster wird so definiert, dass wir bei der Ausführung einer Aktivität alle Massen um unterschiedliche parallele Achsen bewegen. Das bedeutet, dass wir das Gewicht der Massen in einer scharnierartigen Bewegung nur in eine Richtung hin- oder zurückbewegen. Wir nutzen somit die Vielzahl der möglichen Richtungen nicht, die Transportbewegungen zwischen den Massen grundsätzlich erlauben. Die Gesamtbewegung erfolgt um lauter parallele Achsen, sodass die Richtungen der Transportbewegungen mit denjenigen der Haltungsbewegungen übereinstimmen.[8]

Wenn man die Ausführungen zum Positionswechsel bzw. der vertikalen Fortbewegung[9] aus dem Konzept „Menschliche Funktion“ vorwegnimmt, geht es nur um Beugen oder Strecken.

1.1.1.6 Spiralige Bewegungsmuster
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Das spiralige Bewegungsmuster wird so definiert, dass wir bei der Ausführung einer Aktivität jede einzelne Masse unter Ausnutzung der vielen Richtungen bewegen, die die Transportbewegungen bzw. die benachbarten Zwischenräume ermöglichen. Dadurch stimmen die Richtungen der Haltungs- und Transportbewegungen nicht überein, sondern es entsteht ein spiralförmiges Zusammenspiel der beiden Bewegungskomponenten.

Insbesondere wird zudem darauf hingewiesen, dass bei einem spiraligen Bewegungsmuster aus einer Außenperspektive auffällig ist, wie sich die Bewegungsrichtung des gesamten Körpers von den Bewegungsrichtungen der einzelnen Massen unterscheidet.

Damit dürfte Folgendes gemeint sein: Wenn wir z. B. von einem Stuhl aufstehen, geht aus einer Außenperspektive die Bewegungsrichtung des gesamten Körpers nach oben in eine aufrechte Position. Aus der Innenperspektive bewegen wir in einem spiraligen Bewegungsmuster die einzelnen Massen nicht in eine Richtung durch Beugen und Strecken (geschweige denn geradlinig) nach oben, sondern gelangen durch Drehen und Beugen sowie Drehen und Strecken[10] unter Ausnutzung einer Vielzahl von Richtungen in die aufrechte Position.[11]

1.1.1.7 Erschwerte Kontrolle paralleler Bewegungsmuster

Abschließend wird festgehalten, dass aus der Perspektive der funktionalen Anatomie parallele Bewegungsmuster anspruchsvoller als spiralige Bewegungsmuster sind. Dies begründet sich einerseits dadurch, dass wir die Gewichtsverlagerungen der Massen bei parallelen Bewegungsmustern schwieriger kontrollieren können – als präzisere Begründung kann hinzugezogen werden, dass wir das Gewicht der Massen immer wieder mit Muskelkraft tragen müssen und es schlechter über Knochenstrukturen abgeben können. Andererseits schränken wir durch parallele Bewegungsmuster die funktionalen – und einfacher kontrollierbaren – Möglichkeiten unserer Anatomie bewusst ein. Vor diesem Hintergrund wird darauf hingewiesen, dass sich Kleinkinder von sich aus kaum in parallelen Bewegungsmustern bewegen[12]

Dies dürfte hauptsächlich dann seine Gültigkeit haben, wenn Kleinkinder noch nicht die Muskelkraft aufgebaut haben, die für parallele Muster nötig ist. Ebenso kann darauf hingewiesen werden, dass die Lernumgebung des Kindes bestimmt einen wesentlichen Einfluss hat, d. h., ob die Eltern – und die materielle Umgebung wie Sitzschalen usw. – es eher in spiraligen oder in parallelen Bewegungsmustern unterstützen.

1.1.2 Spiralförmiger Verlauf der Vorder- und Rückseiten

Aus der Abbildung[13] wird der spiralförmige Verlauf der Vorder- und Rückseiten bei den Extremitäten ersichtlich.

Im Konzept „Funktionale Anatomie“[14] enthält das Unterthema „Orientierung“[15] das Kapitel „Vorne und hinten: Vorder- und Rückseiten“[16].

Die Vorder- und Rückseiten werden hier aufgrund ihrer Eigenschaften und Funktionen definiert. Im dritten Absatz wird darauf hingewiesen, dass die Lokalisierung der Vorder- und Rückseiten der zentralen Massen auch gemäß dieser kinästhetischen Definition der gängigen Vorstellung entspricht. Hingegen verlaufen die Vorder- und Rückseiten der Extremitäten z. T. spiralig. Dies führt dazu, dass in der kinästhetischen Definition bei den Extremitäten die Bezeichnung von Vorder- und Rückseiten von der gängigen Auffassung abweichen kann.

Nach den Ausführungen zu Funktionen der Vorder- und Rückseiten wird festgehalten, dass uns hauptsächlich aufgrund dieses spiralförmigen Verlaufs grundsätzlich eine Vielzahl der Bewegungsmöglichkeiten zur Verfügung steht. Danach folgt:

„Ein angepasstes Zusammenspiel der Funktionen der Vorder- und Rückseiten während einer Aktivität macht es möglich, diese mit wenig Kraftaufwand und größtmöglicher Kontrolle in der Schwerkraft zu gestalten.“[17]

Die Formulierung macht deutlich, dass die spiralförmigen Bewegungsmuster inhaltlich eng mit diesen Gegebenheiten der funktionalen Anatomie verbunden sind.

1.1.3 Grundpositionen und spiralige Fortbewegung vom Liegen ins Stehen

Im Konzept „Menschliche Funktion“[18] werden im Unterthema „5.1. Einfache Funktion: Positionen und Grundpositionen“ im zweiten Kapitel „Grundpositionen“ diese folgendermaßen hergeleitet:

„Dieses Modell entstand aus der jahrzehntelangen Erforschung der spiraligen Fortbewegung vom Liegen ins Stehen. Wegleitend für die Bewegungserfahrungen und Analysen dieser Forschung waren die folgenden Fragen: Durch welche grundlegenden Positionen in Bezug auf die Gewichtsorganisation führt dieser Weg?“[19]

Die Grundlage der Grundpositionen sind somit die Fortbewegung aus der Rückenlage ins Stehen in einem spiraligen Bewegungsmuster bzw. die „Haltestellen“ mit Richtungswechsel auf diesem Weg.

Entsprechend wird dieses Thema nachfolgend im Kapitel „Fortbewegung in vertikaler Richtung“ bzw. „Positionswechsel“[20] wieder aufgenommen. Wie oben bereits angedeutet, wird hier der Weg, der von der Rückenlage bis zum Zweibeinstand alle Grundpositionen einschließt, mithilfe des spiraligen Bewegungsmusters genauer erläutert.

Wenn wir ein spiraliges Bewegungsmuster als Kombination von Drehen und Strecken gestalten, führt es von der Rücken- in die Bauchlage. Wenn wir dann das spiralige Bewegungsmuster mit einem Richtungswechsel als Kombination von Drehen und Strecken gestalten, führt es weiter ins Sitzen. Setzt man den Weg mit dem Wechsel dieser beiden Ausprägungen des spiraligen Bewegungsmuster fort, gelangt man durch alle Grundpositionen.

1.2 „Parallele und spiralige Bewegungsmuster“ im Buch „Kinaesthetics Infant Handling“ von Maietta und Hatch

In der Beschreibung der Bewegungsmuster im Kapitel „4.5.2. Parallele und spiralige Bewegungsmuster“, die bei jeder Aktivität dadurch entstehen, dass Haltungs- und Transportbewegungen kombiniert werden, wird die Rolle der Massen bei der Gewichtsorganisation betont: Die Bewegungsmuster „bestimmen, welche Massen oder welche Teile von Massen Gewicht tragen und welche Teile frei für Bewegungen sind“[21]. Auf dieser Weise wird das Thema Bewegungsmuster auch mit dem Unterthema der Orientierung (Stichwort „Oben und unten“) verknüpft. Dies wird z. B. aus den Ausführungen unter der Überschrift „Parallele Bewegungsmuster“ deutlich:

„Bei parallelen Bewegungsmustern werden viel Ressourcen der Haltungsbewegungen in einer Achse und weniger Ressourcen der Transportbewegungen eingesetzt. Sie übertragen das Gewicht nach oben und nach unten oder um den Körper herum. In einem parallelen Bewegungsmuster sind die Rollen des Gewichttragens und der Bewegungsführung nicht besonders differenziert. Das Ergebnis: erhöhter Bedarf an Anstrengung.“[22]

Diese Zusammenhänge werden auch aus der Beschreibung unter der Überschrift „Spiralige Bewegungsmuster“ ersichtlich:

Diese Abbildung aus dem Grundkurs-Arbeitsbuch „Kinästhetik Infant Handling“[23] von 1996 wird auch im Infant-Handling-Buch (S. 102) verwendet, um das spiralige Bewegungsmuster des Kindes aus der Rücken- in die Bauchlage zu veranschaulichen.
„Spiralige Bewegungsmuster sind sowohl für uns als auch für Kinder am einfachsten auszuführen. Dabei werden abwechselnd alle Haltungs- und Transportbewegungsressourcen unseres Körpers genutzt. Dies ermöglicht uns, das Gewicht in vielen Achsen zu bewegen und über mehrere Massen zu verteilen. Auf diese Weise wird auch die spiralige Organisation einbezogen, die durch die Struktur der Muskelbefestigungen in den Extremitäten möglich ist. Spiralige Muster verlagern oder bewegen das Gewicht über die Rückseite des Körpers und lassen die vorderen Muskeln frei. Sie machen es einfach, Gewicht zu kontrollieren und sich gelichzeitig zu bewegen.
Wenn man sich in spiraligen Mustern bewegt, wird das Gewicht kontinuierlich zwischen allen Massen und von einem Punkt einer Masse auf einen anderen verlagert. Alle Massen, die kein Gewicht tragen, können für das Lenken der Bewegung und/oder das Manipulieren der Umgebung eingesetzt werden. Dadurch wird es auch möglich, an jedem beliebigen Punkt des Bewegungsprozesses zu stoppen und auszuruhen. Darüber hinaus sind spiralige Bewegungsmuster weniger anstrengend in der Ausführung.“[24].

Die Bewegungsentwicklung vor und nach der Geburt wird desgleichen in diesem Kapitel aus der Sicht der Bewegungsmuster dargestellt. Besonders lesenswert ist die Erklärung, wieso Erwachsene Babys und Kleinkinder mit parallelen Bewegungsmuster bewegen, und wieso spiralige Bewegungsmuster für die Körperstruktur der Kleinkinder geeigneter ist.

„Häufig führen wir Interaktionen mit Babys oder Kleinkindern in parallelen Bewegungsmustern aus. Ein Grund dafür ist die Überzeugung, wir müssten Blickkontakt mit ihnen halten. Bei einem parallelen Bewegungsmuster ist dies möglich, bei spiraligen Bewegungsmustern nicht. Ein anderer Grund liegt in den Körperproportionen und dem geringen Gewicht der Kinder, deshalb heben und bewegen wir sie oft ohne ihre Beteiligung.“
[…]
„Die Hauptgewichte von Kindern befinden sich in Kopf, Brustkorb und Becken. […] Spiralige Bewegungsmuster nutzen alle verfügbaren Haltungs- und Transportbewegungsressourcen des Körpers. […] Das Gewicht der zentralen Massen ist über die Extremitäten organisiert und die Bewegung einfach. Die entstehenden Spannungsmuster regulieren Atmungs- und Verdauungsprozesse und organisieren das Gewicht des Körpers, so dass das Kind durch differenzierten Einsatz der Extremitäten eine Kontrolle über die Bewegung der zentralen Massen hat. Solche Erfahrungen und die daraus resultierenden Fähigkeiten sind für die effektive Ausführung komplexer Aktivitäten notwendig.“[25]

1.3 „Parallele und spiralige Bewegungsmuster“ im Buch „Kinästhetik – Gesundheitsentwicklung und menschliche Aktivitäten“ von Hatch und Maietta

Im Kapitel „3.3.3 Orientierung im Körper versus Orientierung im Raum“[26] sind die Eigenschaften und Funktionen der Vorder- und Rückseiten der Massen beschrieben. Der Zusammenhang zwischen dem nötigen Kraftaufwand und dem Bewegungsmuster wird hier aus der Sicht der funktionalen Anatomie beleuchtet.

„lm Wesentlichen unterscheiden wir zwei Arten von Muskeln, die die Oberfläche des Körpers überziehen, nämlich die Beuger und die Strecker. Die Beugemuskeln befinden sich an der Vorderseite jeder Körpermasse. Sie sind dick und kräftig, obwohl sie schnell ermüden. Wenn sie kontrahieren, verursachen sie, dass sich die Körpermassen nach vorne beugen. Sie stellen die Hauptkraft bereit, um die Massen zu bewegen. Die Streckmuskeln sind demgegenüber an der Rückseite jeder Masse angebracht. Sie sind dünner und ermüden weniger schnell. Kontrahieren sie, bewirken sie, dass die Körpermassen nach hinten gedehnt werden. Die wesentliche Rolle der Streckmuskeln besteht darin, die Massen in einer stabilen Position zu halten. In unseren zentralen Massen bleibt die Vorwärts- und Rückwärtsorientierung der Muskeln stets gleich. In den Extremitäten sind die Muskeln jedoch um die Glieder angeordnet, so dass die Vorderseite spiralförmig in die Rückseite übergeht. Diese spiralige Muskelstruktur unserer Extremitäten ist der Grund dafür, dass wir uns in spiraligen Mustern mit weniger Anstrengung als in parallelen bewegen können.“[27]

Dieser Gedanke wird auch in „3.4 Konzept der Menschlichen Bewegung“[28] im Kapitel „3.4.2 Parallel- und Spiralbewegungen“[29] weitergeführt.

„Spiralige Bewegungsmuster sind für uns am leichtesten nachzuvollziehen. […] Solche Bewegungen nutzen auch die spiralige Organisation des Muskelsystems in den Extremitäten. Spiralbewegungen erleichtern es, Gewicht zu tragen und die Umgebung zu manipulieren. Wenn man sich spiralig bewegt, kann die Körperseite, die gerade kein Gewicht trägt, die Bewegung lenken und die Umgebung verändern. Somit ist es auch möglich, zu jedem Zeitpunkt während des Prozesses zu stoppen und dort zu verharren.“[30]

Bemerkenswert ist, dass in diesem Kapitel als Fachbegriffe Parallel- und Spiralbewegungen sowie parallele und spiralige Bewegungsmuster ohne ersichtlichen Unterschied der Bedeutung verwendet werden. Zu Beginn des Kapitels werden sie folgendermaßen hergeleitet:

„Die Kombination von Haltungs- und Transportbewegungen, aus denen die menschlichen Funktionen bestehen, führt entweder zu parallelen oder zu spiraligen Bewegungsmustern.“[31]

Im unmittelbaren Anschluss wird dies mit den Parallelbewegungen illustriert:

„Parallelbewegungen organisieren eine Gewichtsverlagerung vorwiegend nach vorn und nach hinten oder nach oben und nach unten. Haltungsbewegungen in eine Richtung dominieren bei parallelen Bewegungsmustern. Dazu wird aber eine große Anstrengung benötigt.“[32]

Im weiteren Verlauf des Textes werden parallele Bewegungsmuster als nicht sehr effiziente Möglichkeit bezeichnet, um alltägliche Aktivitäten auszuführen.

Die Relevanz der Kontaktpunkte in der Interaktion mit Patienten hinsichtlich der Bewegungsmuster wird im Kapitel „Positionen und professionelle Pflege“[33] beschrieben:

„Wenn Sie Positionen, Kontakte und Bewegung nutzen möchten, um einer anderen Person zu helfen, bedenken Sie, dass
• Sie nur solche Positionen bei der Interaktion mit dem Patienten einnehmen, in denen Sie Ihre Bewegungen so einsetzen können, dass Sie ihm eine bessere Bewegungskontrolle gewähren.
• Parallele Kontakte mit der Hand und symmetrische Fußpositionen parallele Bewegungsmuster unterstützen; man kann sich durch Beugen und Strecken in der Umgebung und wie ein Zylinder drehen, außerdem vorwärts und rückwärts sowie auf und nieder bewegen.
• Asymmetrische Handkontakte, Fußbewegungen und Positionen spiralige Bewegungsmuster unterstützen; man kann sich so mit vollständiger Bewegungskontrolle in alle Richtungen bewegen.“[34]

Im Kapitel „4.3.5 Überlegungen für die Pflege“[35] werden weitere praxisorientierte Anwendungsaspekte der Bewegungsmuster unterstrichen und die Bedeutung der feinen Unterschiede in den Bewegungsabläufen betont. Als Beispiel soll die folgende Stelle zitiert werden. Sie trägt die Überschrift „Veränderungen des Bewegungsradius“:

Spiralbewegungen wie Drehen sind die einfachsten Bewegungsmuster für den menschlichen Körper, um sich von einer Position in eine andere zu begeben. Erinnern Sie sich daran, dass Beugung und Streckung das Körpergewicht nach unten oder nach oben transferieren (Parallelbewegungen). Die Drehung bewegt es seitlich um die Körperachse herum. Sie müssen ein Spannungsmuster schaffen, welches spiralige Bewegungen im Körper fördert, gleichzeitig aber auch das Gewicht auf mehrere unterstützenden Massen verteilt. Sie müssen jedoch nicht immer eine vollständige Spirale ausführen, um bestimmte Bewegungsressourcen nutzen zu können. Die Qualität und die Richtung einer Bewegung sind weitaus wichtiger als ihr Radius.“[36]

1.4 Kommentare, Auswertung und offene Fragen

1.4.1 Zur Definition des Begriffs Achse

Nicht selten wird außer Acht gelassen oder nicht zutreffend definiert, was der Begriff Achse (bzw. Dreh- oder Rotationsachse) gängig bezeichnet. Man kann sich die gängige Definition leicht mit der Radachse eines Wagens veranschaulichen. Die Radachse verläuft waagrecht, und die Räder drehen sich auf einer Ebene, die senkrecht zur Achse steht, um sie herum. In Bezug auf einen dreidimensionalen Körper wie z. B. ein Segelschiff kann zwischen den Koordinatenachsen (x, y, und z) unterschieden werden, und zwar zwischen der Längs- oder Rollachse (x), der Quer- oder Nickachse (y) und Vertikal- oder Gierachse (z) unterschieden werden. Diese Definitionen sind in der Physik und Technik, aber auch in der Medizin oder Physiotherapie relevant.[37]

Sie liegt ebenso der entsprechenden Beschreibung des parallelen Bewegungsmusters in der Kinästhetik zugrunde. Wenn wir mit dem Kopf nicken, bewegt er sich kreisförmig um eine Achse, die waagrecht im oberen Halsbereich anzusetzen ist. Wie ein Rad bewegt er sich auf einer Ebene, die senkrecht zu dieser Achse steht.

Wenn man das Aufstehen von einem Stuhl in einem parallelen Bewegungsmuster betrachtet, sind somit verschiedene parallele waagrechte Achsen im Spiel, um die sich unsere Körperteile durch Beugen und Strecken kreisförmig vor- und zurückbewegen.

(Stefan Marty-Teuber, 2024-03-14)


Hinweis von Mária, dass auch bei einem hauptsächlich parallelen Bewegungsmuster (wie unten dargestellt: Kind von Rückenlage ins Stehen) spiralige Bewegungsmuster z. B. in den Armen vorhanden sein können (vgl. Kommentar oben)

2 Geschichte des Fachbegriffs

2.1 Die Kinästhetik-Bulletins als früheste Quelle des Fachbegriffs

Die Geschichte des Fachbegriffs ist weitverzweigt. Die früheste Quelle sind die Bulletins „Kinästhetik“[38]. Im Infoblatt 4 „Kinaesthetics/Kinästhetik: Die Geschichte“ der European Kinaesthetics Association werden diese Bulletins folgendermaßen erwähnt:

„Im Jahr 1980 wurde in Zürich der ‚Verein für Kinästhetik‘ gegründet mit der Absicht, alle interessierten Personen zu verbinden und eine Vereinszeitschrift zu publizieren. Diese erschien unter der Bezeichnung ‚Kinästhetik Bulletin‘ bis zum Jahr 1996 ein- bis zweimal jährlich. Im Vereinsvorstand befanden sich Personen verschiedener Berufsgruppen sowie Hatch, Maietta und Graham.“[39]

2.2 Das Thema „spiralig – parallel“ in den ersten Kinästhetik-Bulletins

2.2.1 Spiralförmige Körperstruktur und spiralige Bewegungsabläufe (2. Bulletin, 1982)

Bereits im 2. Bulletin von 1982 findet sich einerseits eine Kinästhetiklektion bzw. eine Bewegungsanleitung von Frank Hatch mit der Überschrift „Die spiralförmige Struktur des Körpers im verstreben (stossen), hängen (ziehen), sitzen (heben)“[40]. Andererseits schreibt Susanne Teichmann in einem Erfahrungsbericht über Gentle Dance:

„So mögen sich spiralige Bewegungsabläufe entwickeln, die dich mit vielleicht ungeahnter Leichtigkeit zu Boden und wieder nach oben führen.“[41]

Diese zwei frühen Erwähnungen zeigen die Hauptlinien des heutigen Konzeptverständnisses in Bezug auf das Thema „spiralig/spiralförmig“: Einerseits Spiralmuster in der funktionalen Anatomie[42] und andererseits Spiralbewegungen in Bewegungsabläufen, vor allem in Positionswechseln[43].

2.2.2 Sieben Grundhaltungen (-positionen) aufgrund Spiralbewegungen (11. Bulletin, 1986)

Im 11. Bulletin aus dem Jahr 1986 beschreibt Frank Hatch ausführlich die menschlichen Grundhaltungen (frühere Bezeichnung des aktuellen Fachbegriffs Grundpositionen) und den Bewegungsablauf von der ersten zur siebten Grundhaltung, indem man Spiralbewegungen mit regelmäßigem Richtungswechsel benutzt.“[44]

2.2.3 Diagonalen – Spiralbewegungen – Kraftaufwand und spiralförmige Bewegungen in der embryonalen und frühkindlichen Entwicklung (15. Bulletin, 1988)

Ein erwähnenswerter Ursprung des spiraligen Bewegungsmusters sind die Begriffe der Diagonale und Diagonalbewegung. Rosemarie Suter erklärt im 15. Bulletin (1988) den Zusammenhang der diagonalen Verbindungen zwischen den Massen, der Spiralbewegungen und des nötigen Kraftaufwandes des Bewegungsablaufes folgendermaßen:

„Durch die überkreuzte Haltung wird der Rumpf stabilisiert und lässt sich nur noch als ein Stück bewegen, das in sich keine Beweglichkeit mehr hat. Halte ich hingegen das Knie auf gleicher Seite, so entsteht eine asymmetrische Verbindung zwischen Brustkorb und Beckengürtel, welche ein Verlagern bzw. Verkürzen der diagonalen Verbindung zwischen Brustkorb und Becken zulässt. Dies erlaubt eine Drehbewegung zwischen den Massen. So können sie einander in fortlaufender Art und Weise folgen, und es entsteht eine natürliche, leichte Bewegung. Diese Erfahrung hat mir auch sehr deutlich zu spüren gegeben, dass ohne Drehung keine Fortbewegung möglich ist oder nur unter erschwerten Bedingungen.
Um Bewegung zu beobachten und zu analysieren, sind wir auf Kriterien angewiesen, die uns helfen, das Beobachtete einzuordnen. Diagonale Verbindungslinien sind in diesem Sinne ein geeignetes Hilfsmittel, um die Spiralbewegung durch den Körper zu verfolgen. Sie verlaufen immer zwischen zwei Massen und zwar schräg zur Körperlängsachse. Als Linien sind sie immer etwas Zweidimensionales. Die dazugehörige Bewegung jedoch ist spiralförmig und somit dreidimensional.“[45]

Ebenso wird in dieser Ausgabe des Bulletins auf die Bedeutung von elementaren Bewegungsmustern bzw. der spiralförmigen Bewegungen aus der Sicht der embryonalen und frühkindlichen Entwicklung im Rahmen des „Touch in Parenting Programms“ von Lenny Maietta und Frank Hatch hingewiesen. Der zweite Kurs heißt „Die Bewegungen der Entwicklung“. Hier findet sich eine wichtiger Schritt, der in späteren Artikeln des Bulletins und in weiteren Publikationen im Rahmen des heutigen Themas „Bewegungsentwicklung – Entwicklungsbewegung“ aufgenommen wird.[46]

2.3 Das Thema „spiralig – parallel“ im 16. Kinästhetik-Bulletin von 1990

Im 16. Bulletin von 1990, das eine Sonderausgabe der Kinästhetik-Bulletins war, findet sich die erste zusammenhängende Darstellung des heutigen Konzeptsystems. Begrifflich ist hier insbesondere von parallelen Bewegungsmustern noch nicht die Rede. Allerdings werden Spiralmuster im Rahmen des Themas „4.2. Orientierung im Körper“ bei der Unterscheidung von vorne und hinten erwähnt:

„Die Unterscheidung vorne - hinten ist bestimmt durch die Muskelfunktion.
Die vorne liegende Muskulatur umfasst alle Beugemuskeln. Sie übernehmen die Aufgabe der Anpassung an die Umwelt. Zudem ist die Vorderseite weicher, offener, verletzlicher, differenzierter. Mit ihr treffen wir die Aussenwelt (z.B. mit Handflächen oder Fusssohlen).
Zur hinten liegenden Muskulatur gehören alle Streckmuskeln. Sie sind verantwortlich für Stabilität und Gleichgewicht. Die Hinterseite ist runder, abgeschlossener, härter, geschützter und trägt das Gewicht.
Im Kopf und Rumpf ist dieses Muster leicht zu erkennen. In den Extremitäten allerdings verläuft diese Trennung zwischen vorne und hinten in einem Spiralmuster. Dies ist prägend für die Art und Weise wie wir unsere Arme und Beine benutzen können.“[47]

Dieses Zitat ist auch deshalb besonders erwähnenswert, weil es auf den prägenden Zusammenhang zwischen der funktionalen Anatomie und den möglichen Bewegungsmustern hinweist. Somit ist es ein klares und frühes Beispiel für die Beziehungen zwischen den Inhalten der entsprechenden Konzepte des heutigen „Kinaesthetics – Konzeptsystems“.

Unter dem Kapitel „4.4. Anatomischen Grundlagen“ werden im dritten Unterkapitel Transport- und Haltungsbewegungen gemeinsam mit dem regelmäßigen Wechsel der Haltungs- und Transportbewegungsebenen im Körper erklärt.[48] Der Begriff Bewegungsmuster erscheint unter dem Kapitel „4.5. Funktion“ im dritten Unterkapitel „Fortbewegung“. Er wird direkt mit der Transport- und Haltungsbewegung bzw. den Haltungs- und Transportbewegungsebenen verbunden, die im vorausgehenden Kapitel beschrieben wurden:

„8. Haltungs- und Transportbewegung sind wesentliche Elemente der Fortbewegung. Bewegungsmuster, bei denen fortlaufend die Haltungsbewegungsebenen angesprochen werden, sind in erster Linie Fortbewegungsmuster für die Vorwärts-/Rückwärtsbewegung.
Bewegungsmuster, welche fortlaufend die Transportbewegungsebenen ansprechen, erlauben, dass wir uns spiralförmig bewegen können. Spiralbewegungen entsprechen unserer Körperstruktur.“[49]

Bemerkenswert ist, dass in dieser Ausgabe des Bulletins parallele und spiralige Bewegungsmuster in ihren Grundzügen aufgezeigt, aber begrifflich noch nicht so bezeichnet werden.

2.4 Das Thema „spiralig – parallel“ in weiteren Publikationen der frühen 1990er-Jahre

2.4.1 Spiralbewegungen des Fetus und die Spirale als Urmuster des Lebendigen (17. Bulletin, 1990)

Im 17. Bulletin (1990) schreibt Lenny Maietta in ihrem Artikel „Kinästhetik in der Eltern-Kind-Beziehung“ im ersten Kapitel „Fetale Bewegung und die Bewegung des Neugeborenen“ mit Verweis auf das Buch „The Beginnings of Human Life“ von Blechschmidt, dass der Fetus im Mutterleib durch spiralige Bewegungen seine Position wechselt.[50] Im gleichen Bulletin nimmt Irina Weber dies in ihrem Erfahrungsbericht über einen Kurs auf, den sie mit ihrem Kind besucht hat. Für sie heißt das Schlüsselwort bei Kindern mit Koliken Spiralbewegungen. Dazu führt sie aus:

„Die Spirale scheint ein Urmuster des Lebendigen zu sein; die Struktur der Lendenwirbelsäule erlaubt spiralige Bewegungen. Die DNS ist z.B. nach diesem Muster aufgebaut, der Fetus macht in der Gebärmutter fast pausenlos Spiralbewegungen. Nach der Geburt ist es nicht mehr imstande, solche Bewegungen selbst auszuführen, da der Rückhalt der Gebärmutter fehlt.”[51]

2.4.2 Zwei- und dreidimensionale Bewegungen, ihre Achsen, Beugen – Strecken – Drehen (Grundkurs-Arbeitsbuch, 1991)

Im Arbeitsbuch „Grundkurs: Kinästhetik in der Krankenpflege“ von 1991 (verfasst von Lenny Maietta und Frank Hatch, übersetzt von Ina Citron) wird das Thema im zweiten Teil unter dem Kapitel „Menschliche Bewegung“ aufgeführt. Es wird unterschieden zwischen zweidimensionaler und dreidimensionaler Bewegung, basierend auf der Zahl der Achsen, um die herum die Rotation der Bewegung geschieht:

Zweidimensionale Bewegung
entsteht durch Vorwärtsbeugen oder Rückwärtsstrecken und ist Rotation um eine Achse.
Dreidimensionale Bewegung
entsteht durch Drehen-Beugen oder Drehen-Strecken und ist kombinierte Rotation um zwei Achsen.“
[52]

In der dritten Auflage dieses Arbeitsbuches wird die offensichtliche Fehlbeschreibung „um zwei Achsen“ durch „auf verschiedenen Achsen“ korrigiert. Bemerkenswert ist, dass sich nachfolgend als Bewegungsanleitung unter der Überschrift „Aktivitäten“ die Aufforderung findet, „mit Hilfe des spiraligen Bewegungsmusters“[53] aufzustehen, und unter der Überschrift „Rückblick“ zweimal der Begriff Spiralbewegung[54] verwendet wird. Desgleichen wird im Artikel „Frösche oder Patienten bewegen?“, der diesen Teil abschließt, von der Problematik gesprochen, den Körper parallel zu benutzen[55].

2.4.3 Zweidimensionallineare und dreidimensionalspiralige Muster aus der Integration von Haltungs- und Transportbewegung (20. Bulletin, 1993)

Mit der Zeit und wahrscheinlich nach vielen Beschreibungen entsprechender Bewegungserfahrungen zeichnete sich die fachsprachliche Beschreibung der Bewegungsmuster immer klarer ab. Im 20. Kinästhetik-Bulletin (1993) wird der Unterschied zwischen grundsätzlichen Bewegungsarten bzw. Mustern und Haltungs- und Transportbewegungen von Lenny Maietta in ihrem Artikel „Bewegung und Funktion“ (übersetzt von Ina Citron) erklärt und betont:

„Im menschlichen Körper ist Bewegung erfahrbar, die in eine Richtung geht (die auf einer Achse geschieht), und Bewegung, die in mehr als eine Richtung geht (auf vielen Achsen geschieht). In einer sehr allgemeinen Betrachtung assoziiert man einachsige Bewegung mit Massen. Vielachsige Bewegung wird durch die Zwischenräume zwischen den Massen ermöglicht. Die Körperebenen, auf denen diese beiden Bewegungsarten möglich sind, erscheinen als wechselndes Muster im gesamten Skelett.
[…]
Auch Bewegung am Ort besteht aus der Integration von Haltungsbewegung (Bewegung in eine Richtung) und Transportbewegung (Bewegung in viele Richtungen), wie es der Fall bei jeder menschlichen Funktion ist. Bei der Durchführung von Bewegung am Ort bewegt sich eine Person entweder in zweidimensionallinearen Mustern oder in dreidimensionalspiraligen Mustern. Für den Menschen ist es schwieriger, sich in gradlinigen Wegen zu bewegen, als in spiraligen Mustern. Der Grund dafür liegt in der natürlichen Neigung der Körperteile, sich zu drehen, sobald beide Bewegungsformen (Haltungs- und Transportbewegung) kombiniert werden. Bewegt sich [der] Mensch auf linearen Wegen, muß er seine Körperteile gegen ihre natürliche Tendenz stabilisieren.
[…]
Auch Fortbewegung entsteht, wie jede andere menschliche Funktion, aus der Integration von Haltungs- und Transportbewegung. Auch Fortbewegung kann entweder in zweidimensionallinearen Wegen oder in dreidimensionalspiraligen Mustern ausgeführt werden.“[56]

Das Zitat geht von der Haltungs- (in eine Richtung) und Transportbewegung (in viele Richtungen) aus. Diese beiden Bewegungsarten werden durch die Haltungs- und Transportbewegungsebenen möglich, die in einem abwechselnden Muster im ganzen Körper auftreten. Aus der funktionalen Integration der beiden Bewegungsarten entstehen Muster, die hier als „zweidimensionallinear“ oder einfach „linear“, „gradlinig“ oder als „dreidimensionalspiralig“ oder einfach „spiralig“ bezeichnet werden. Erstere sind „schwieriger“, weil sie Stabilisierung erfordern, zweitere „natürlicher“, was wahrscheinlich Bezug auf die embryonale Bewegung (oder die spiralige Anordnung von Vorder- und Rückseiten) nimmt.

Aus diesem Zitat ist die Suche nach passenden Begrifflichkeiten, um die Bewegungserfahrungen von parallelen oder spiraligen Bewegungsmustern im Zusammenhang mit anderen Themen zu beschreiben, gut erkennbar. Kinästhetik ist und war immer auch fachsprachliche Entwicklung; zu den heutzutage benutzten Fachbegriffen führte ein langer Forschungsprozess, der immer noch stattfindet.

Im folgenden Zitat aus dem gleichen Bulletin wird dieser Klärungsprozess explizit dargestellt. Hier definiert Lenny Maietta den Unterschied zwischen Bewegungsabläufen und Haltungs- und Transportbewegungen in ihrem Artikel „Bewegung und Fortbewegung – Zwei unverwechselbare Erscheinungen“. Wieder zeigt sich die Art und Weise, wie das aktuelle Konzeptverständnis der Kinästhetik entwickelt wurde. Zu der Erfahrung passende Fachbegriffe zu suchen, war und ist eine fortlaufende Forschungsarbeit. Neben diesem Aspekt erfolgt hier eine andere bemerkenswerte Erklärung: Sie betrifft den Zusammenhang zwischen dem benötigten Kraftaufwand der Bewegungsmuster und dem abwechselnden Muster der Haltungs- und Transportbewegungsebenen im Körper.

„Unter den Personen, die an Kinästhetikkursen und Ausbildungsprogrammen teilnehmen oder teilgenommen haben, gibt es immer wieder eine auffällige Verwechslung: Sie beschreiben die verschiedenen Bewegungsabläufe der Fortbewegung mit den Begriffen ‚Haltungs- und Transportbewegung‘. Haltungs- und Transportbewegung im menschlichen Körper sind die Voraussetzungen der Fortbewegung. Trotzdem können diese Begriffe nicht die verschiedenen Bewegungsabläufe beschreiben.
Fortbewegung geschieht entweder durch einen zweidimensionalen linearen Bewegungsablauf oder durch einen dreidimensionalen spiraligen (kurvenlinearen) Bewegungsablauf.
[…]
Sich mit zweidimensional-linearem Bewegungsablauf fortzubewegen, ist ein schwieriges Kunststück, da die Durchführende alle ‚gerundeten‘ Massen des Körpers in Drehbewegung halten muß. In dem hier aufgezeigten zweidimensionalem linearen Bewegungsablauf wandert die Bewegung um eine horizontale Achse.
[…]
Sich mit dreidimensional-spiraligem Bewegungsablauf fortzubewegen ist für Menschen einfach. Es benötigt nur das Verfolgen der natürlichen Tendenz der Massen des Körpers, die sich schrittweise nacheinander in den Drehablauf einbeziehen. Diese Tendenz entsteht durch das abwechselnde Muster zwischen Haltungs- und Transportbewegungsebenen im Körper. In dem hier aufgezeigten dreidimensionalen spiraligen Bewegungsablauf wandert die Bewegung in einer Spirale und zieht jede Masse nacheinander in den Bewegungsablauf ein.
Zusammenfassung: Die Absicht dieses Artikels ist die Unterscheidung zwischen Haltungs- und Transportbewegung und den Bewegungsabläufen der Fortbewegung (zweidimensional-linear, dreidimensional-spiralig). Haltung und Transport bezieht sich auf die Bewegungsebenen mit einer Achse bzw. die Bewegungsebenen mit vielen Achsen, die in einem abwechselnden Muster im Körper zu finden sind. Diese Begriffe können Fortbewegung nicht beschreiben. Fortbewegung bezieht immer alle Bewegungsebenen des Körpers ein, geschieht aber entweder auf einem zweidimensionalen linearen oder einem dreidimensionalen spiraligen Weg.“[57]

2.4.4 Parallele Bewegungsmuster (Beugen oder Strecken) – spiralige (Drehen-Strecken oder Drehen-Beugen) und Bewegungsentwicklung (22. Bulletin, 1994)

Der Zusammenhang zwischen Bewegungsmustern und Bewegungsentwicklung wird im Artikel „Entwicklungsförderung durch Interaktion“ von Ina Citron in der 22. Ausgabe des Bulletins (1994) nochmals deutlicher aufgezeigt. Sie schreibt, dass spiralige Bewegungen den strukturellen Bedingungen des menschlichen Bewegungsapparats folgen und die einfachsten Muster seien. Deshalb sei dieses Muster für die Interaktion mit Babys und Kleinkindern besonders geeignet.

„In der Bewegung von Kindern wird man sicherlich erst im Vorschulalter die Fähigkeit beobachten, Bewegungen ohne Drehung, also nur durch Beugen oder Strecken auszuführen.
Im Gegensatz dazu kann man in den Bewegungsmustern von Erwachsenen häufig beobachten, daß spiralige Bewegungsmuster in großen Körperbewegungen überhaupt nicht mehr vorkommen, sondern das Positionswechsel (beispielsweise vom Sitzen zum Stehen) ausschließlich durch parallele Bewegungsmuster (durch Beugen oder Strecken) durchgeführt werden.
Die Bewegungsinteraktion mit Kindern sollte möglichst immer durch Drehen-Strecken oder Drehen-Beugen ausgeführt werden. Dies unterstützt die natürlichen Bewegungsmuster des Kindes, die es eigenständig entdecken und entwickeln kann […]“[58]

In diesem Artikel listet Ina Citron das „Wissen und die Erfahrungsmöglichkeiten“[59] der Kinästhetik in 6 Themengruppen auf. Das dritte Thema dieser Liste, das noch nicht als Konzept bezeichnet wird, heißt „Menschliche Bewegung“. Die oben aufgeführten Zitate stammen aus diesem Textabschnitt. Bemerkenswert ist, dass hier bereits das aktuelle Fachbegriffspaar der parallelen und spiraligen Bewegungsmuster verwendet wird.

2.4.5 Parallele und spiralige Bewegungsmuster (Kinästhetik in der Pflege-Grundkurs, Kurzdarstellung, 1994)

In dieser internen Kurzdarstellung für GrundkurstrainerInnen[60] unterteilt sich das dritte Thema „Menschliche Bewegung“ in die folgenden Unterthemen:

  • A. Parallele und spiralige Bewegungsmuster
  • B. Haltungsbewegung und Transportbewegung
  • C. Spiralbewegung

Unter der Überschrift „Rückblick“ erfolgt insbesondere eine Erklärung, wie der Begriff „parallel“ im Zusammenhang mit den Bewegungsmustern verstanden werden kann.

„Bei parallelen Bewegungsmuster wird das Gewicht auf beiden Körperseiten getragen und beide Körperseiten bewegen sich synchron und gleichzeitig. Auch führen beide Körperseiten gleichzeitig die ausgeführte Bewegung. Zwei Aufgaben gleichzeitig auszuführen ist eine schwierige Angelegenheit. […] Werden spiralige Bewegungsmuster ausgeführt, ist das Gewicht fließend. Es bewegt sich von einem Körperteil (Masse) zu einem anderen. Andere Körperteile (Massen), die kein Gewicht tragen, führen die Bewegung. Spiralbewegung vermittelt dem Bewegenden mehr Kontrolle. Sie verursachen im Körper weniger Stress – sie sind für unsere Knochen und Muskeln einfacher.“[61]

Die Parallelität des Bewegungsmusters wird hier durch das Tragen des Gewichts mit beiden Körperseiten, durch die synchrone Gleichzeitigkeit ihrer Bewegung und durch ihr gleichzeitiges Führen erklärt. In anderen Publikationen wird der Begriff kaum explizit erläutert; als Erklärung wird man eher die Parallelität von linearen oder geradlinigen Bewegungsrichtungen vermuten. Im „Praxisbuch Kinaesthetics“ von Maren Asmussen findet sich unter der Überschrift „Parallele und spiralige Bewegungsmuster eine Erklärung, die an die vorangehend zitierte Stelle anschließt.

„Bei parallelen Bewegungsmustern führen die rechte und die linke Körperhälfte die gleichen Bewegungen durch.“[62]

Im „Kinaesthetics – Konzeptsystem“ hingegen ist explizit von parallelen Achsen die Rede (vgl. oben).

Im dritten Unterthema „Spiralbewegungen“ dieser internen Kurzdarstellung geht es um eine Einführung, wie spiralige Bewegungsmuster durch Drehen und Beugen oder Drehen und Strecken erfahrbar gemacht werden können.

2.4.6 Bewegungsmuster aus der Kombination von Haltungs- und Transportbewegung, Anstrengung, Beugen und Drehen oder Strecken und Drehen (Grundkurs-Arbeitsbücher, 1996)

In den Arbeitsbüchern von 1996 wird im zweiten Teil das dritte Thema „Menschliche Bewegung“ in neuer Form dargestellt. Vor dem Stichwort „Parallele und spiralige Bewegungsmuster“[63] wird das Thema „Haltung- und Transportbewegungen“ eingeführt und als Basis der Erklärung der Bewegungsmuster verwendet. Nennenswert ist in den folgenden Ausführungen, dass auch die Bewegungselemente Zeit, Raum und Anstrengung als ausschlaggebende Faktoren der Bewegungsmuster erwähnt werden.

Die Abbildung[64] veranschaulicht die Haltungs- bzw. Transportbewegung in bzw. zwischen den Massen.
„Mit der Haltungsbewegung überträgst Du die Bewegung von einer Masse zur andern.
Mit der Transportbewegung erhältst Du den notwendigen Spielraum zwischen Deinen Massen.
Parallele und spiralige Bewegungsmuster sind eine Kombination von Haltungs- und Transportbewegung. Bewegungsmuster entstehen durch die unterschiedliche Gestaltung von Zeit, Raum und Anstrengung in Haltungs- und Transportbewegung. Parallele Bewegungsmuster benötigen meist etwas mehr Anstrengung als die spiraligen und erfordern von den Pflegenden differenziertere Bewegungs- und Handlingfähigkeiten.
Das einfachste Muster zwischen Haltungsbewegung und Transportbewegung kannst Du bei der Betrachtung der menschlichen Anatomie als Massen und Zwischenräume entdecken.
Spiralige Bewegungen entstehen durch Kombination von Haltungsbewegung mit Transportbewegung in horizontaler und vertikaler Richtung, wie Beugen und Drehen oder Strecken und Drehen.“[65]


In diesen früheren Arbeitsbüchern findet man unter dem zweiten Thema „Funktionale Anatomie“ je eine interessante Darstellung unter dem Stichwort „Massen stapeln“, die als Illustration des parallelen Bewegungsmusters betrachtet werden kann. Sie wird im Grundkurs-Arbeitsbuch „Kinästhetik Infant Handling“ folgendermaßen erläutert:

Die Abbildung aus dem Infant-Handling Arbeitsbuch von 1996 (S. 24) kann als Veranschaulichung eines mehrheitlich parallelen Bewegungsmusters beim Weg von der Rückenlage in den Zweibeinstand betrachtet werden.


„Es gibt viele Möglichkeiten aufzustehen. Eine Art und Weise, die hilft, den Gewichtstransfer im Körper zu verstehen, zeigt die Skizze. Haben Erwachsene, Kinder oder Kleinstkinder die Absicht aufzustehen, müssen sie ihr Gewicht immer tiefer im Körper bis auf die Füsse bringen.“[66]


2.5 „Bewegungsmuster“ im Buch „Kinästhetik – Interaktion durch Berührung und Bewegung in der Krankenpflege/Pflege“ von Hatch, Maietta und Schmidt

2.5.1 Bedeutung der Publikation

Dieses Buch ist die erste zusammenhängende öffentliche Darstellung der Kinästhetik und deshalb ein Meilenstein der Entwicklung des Fachgebiets. Wie im Titel ausgedrückt, legt es den Fokus auf das Anwendungsfeld der Pflege und die Interaktionen durch Berührung und Bewegung, die in jeder Unterstützungssituation als Kernaufgabe stattfinden. Es enthält Geleitworte der deutschen Pflegewissenschaftlerin Christel Bienstein und der Pflegepionierin Sr. Liliane Juchli. Die erste bis dritte Auflage erschien in den Jahren 1992, 1993 und 1994; im Jahr 1996 wurde eine vierte, überarbeitete Auflage publiziert. Dabei wurde im Titel „Krankenpflege“ durch „Pflege“ ersetzt.

Das Buch enthält die folgenden sieben bzw. acht Hauptkapitel:

  • Kinästhetik in der Krankenpflege
  • Interaktion und Pflegeprozess
  • Funktionale Anatomie
  • Menschliche Bewegung (nur 1996)
  • Bewegung und Funktion (1996: Menschliche Funktion)
  • Anstrengung (1996: Anstrengungsarten)
  • Gestaltung der Umgebung
  • Anwendungsmöglichkeiten in der Pflege

Wie leicht ersichtlich wird, zeichnet sich hier das heutige Konzeptsystem mit seinen Unterthemen ab.

2.5.2 Das Thema der heutigen parallelen und spiraligen Bewegungsmuster

In den ersten Auflagen erscheint das Thema der heutigen parallelen und spiraligen Bewegungsmuster im vierten Kapitel „Bewegung und Funktion“[67]. Unter der Überschrift „Stabile Massen, instabile Zwischenräume“[68] folgen mit den damals gebräuchlichen Fachbegriffen (vgl. oben) die Unterkapitel „Zweidimensionale Bewegung“[69] und „Dreidimensionale Bewegung“[70].

Inhaltlich werden diese Bewegungen an das Thema der Massen und Zwischenräume angeschlossen: Es geht um die zweidimensionale bzw. dreidimensionale Nutzung der Bewegungsmöglichkeiten der Zwischenräume. Letzteres wird ausführlicher charakterisiert:

„Werden die Bewegungsmöglichkeiten der Zwischenräume dreidimensional genutzt, wird die Funktion leichter und wirkungsvoller. Die Bewegung benötigt noch weniger Kraftaufwand. Sie ist kontrollierter und läßt sich jederzeit umkehren, ohne daß der Kraftaufwand erhöht werden muß. Durch die dritte Dimension wird die Bewegung im Körper spiralig.“ [71].
Die Abbildung aus der ersten Auflage von 1992 (S. 71) veranschaulicht die danebenstehende Bewegungsanleitung. In dieser wird zweimal das Stichwort „spiralig“ verwendet, die entsprechende Überschrift lautet aber „Dreidimensionale Bewegung“.

Beide Bewegungen werden unter der Überschrift „Erfahrung am eigenen Körper“ mit je einer Bewegungsanleitung zum Aufstehen von einem Stuhl veranschaulicht. Bei der Anleitung der dreidimensionalen Bewegung (vgl. Abbildung) wird das Stichwort „spiralig“ zweimal verwendet; bei der zweidimensionalen Bewegung fehlt das Stichwort „parallel“.

Eine interessante Entwicklung zeigt die überarbeitete Auflage von 1996[72]. Im vierten Kapitel, das neu mit „Menschliche Bewegung“ überschrieben wird, folgt unter der Überschrift „Stabile Massen, instabile Zwischenräume“ der gleiche Text wie in den vorangehenden Ausgaben, wobei nach den ersten zwei Zeilen eine untergeordnete Überschrift „Stabile und instabile Bewegungen“ eingeschoben wird.

Auf der gleichen Ebene wie „Stabile Massen, instabile Zwischenräume“ folgt neu die Überschrift „Bewegungsmuster“ mit den beiden Unterkapiteln „Parallele Muster“[73] und „Spiralige Muster“[74]. Der beschreibende Text ist weitgehend identisch, wobei „zweidimensional“ bzw. „dreidimensional“ der vorangehenden Auflagen konsequent mit „parallel“ bzw. „spiralig“ ersetzt werden. Hier erfolgt somit ein entscheidender Schritt in die Richtung der heutigen Fachbegriffe.

Auf eine weitere Bewegungsanleitung zum spiraligen Bewegungsmuster soll hingewiesen werden. Sie wird durch eine Zeichnung gut illustriert wird (vgl. Abbildung) und folgendermaßen eingeleitet:

Illustration[75] des spiraligen Bewegungsmusters von Rücken- zu Bauchlage.
„Durch die folgende Aktivität können Sie die spiralige Bewegungsmöglichkeit jeder Masse und ihre spezifische Auswirkung auf die Bewegung im Körper erfahren:“ [76]

Bemerkenswert ist, dass „Bewegungsmuster“ im beschreibenden Text vorkommt, aber neben „Muster“, „Bewegung“, „Bewegungsmöglichkeit“ oder „Bewegungsform“ und somit noch nicht als einschlägiger Fachbegriff.

Ebenso ist zu erwähnen, dass in allen Auflagen des Buches die dreidimensionale Bewegung bzw. das spiralige Muster bei der weiter hinten folgenden Behandlung der Grundpositionen wieder aufgenommen wird[77].

Mit einem Scharnier und einem Mörser werden die möglichen Richtungen der Haltungs- und Transportbewegung veranschaulicht[78].

Hingegen wird das Thema der Haltungs- und Transportbewegung erst in der Auflage von 1996 eingeführt[79] (vgl. Abbildung). Es wird aber noch nicht – wie in den Arbeitsbüchern aus dem gleichen Jahr (vgl. oben) und in der nachfolgenden Zeit – zur Definition der Bewegungsmuster im Sinn der Kombination von Haltungs- und Transportbewegung verwendet.

Dies ist auch vor dem Hintergrund erstaunlich, dass Lenny Maietta im 20. Kinästhetik-Bulletin von 1993 in ihrem Artikel „Bewegung und Fortbewegung – Zwei unverwechselbare Erscheinungen“ (vgl. oben) Haltung- und Transportbewegung als Voraussetzung für zweidimensional-lineare bzw. dreidimensional-spiralige Bewegungsabläufe bezeichnet. Hier zeigt sich wieder die Suche dieser Zeit nach den passenden Begriffen und Beschreibungen der Zusammenhänge.

Erwähnenswert sind die Gedanken, die in allen Auflagen des Buches die zweidimensionale Bewegung bzw. das parallele Muster auf einer allgemeinen Ebene einleiten. Sie verdeutlichen den Einfluss unserer Umgebung auf unsere Bewegungsmuster:

„In den industrialisierten Gesellschaften leben Menschen hauptsächlich in einer Umgebung, die durch ebene Flächen, gerade Linien und rechte Winkel gestaltet ist. In der Architektur sind rechte Winkel dominant, Straßen und Plätze sind betoniert, Gebrauchsmöbel bestehen in der Regel aus geometrischen Formen. Diese technische Gestaltung der Umgebung fördert die Bewegung des Menschen in zwei Dimensionen (1996: Diese Gestaltung trägt dazu bei, daß Menschen sich in geraden Linien bewegen): Die Massen des Körpers bewegen sich nacheinander vorwärts oder rückwärts und werden regelrecht aufgestapelt, dabei werden die Bewegungsmöglichkeiten der Zwischenräume nur zweidimensional genutzt (1996: …, dabei werden die Bewegungsmöglichkeiten begrenzt). Das Aufstehen von einem Stuhl ist ein gutes Beispiel dafür.“[80].

Offensichtlich etabliert ist zu dieser Zeit die spiralige Anordnung der Vorder- und Rückseiten bei den Extremitäten. Die entsprechenden Hinweise erfolgen im dritten Kapitel „Funktionale Anatomie“[81] im Unterthema „Orientierung“[82]. Unter der Überschrift „Vorder- und Rückseiten an den Extremitäten“[83] werden in den entsprechenden Bewegungsanleitungen die Hinweise gemacht, dass bei den Armen und bei den Beinen die Vorder- und Rückseiten spiralig um deren Längsachsen verlaufen[84].

2.6 Kommentare, Auswertung und offene Fragen

Benötigen wir das Kapitel? Aus meiner Sicht wäre höchsten ein Kommentar zu Bewegungsmustern der frühkindlichen Bewegung bzw. zum Dogma, dass sich Embryos/Kleinkinder von sich aus spiralig bewegen, angebracht, wo man aber weiter recherchieren müsste. Ich bin für die Streichung des Kapitels.

3 Vergleiche auch

4 Zum Begriff

4.1 Bedeutungsüberblick

4.1.1 Die Bedeutungen der Begriffe der Begriffe nach dem „Duden Online-Wörterbuch“

Nach dem „Duden Online-Wörterbuch“ hat parallel folgende Bedeutungen:
Die Erstbedeutung lautet „in gleicher Richtung und in gleichem Abstand neben etwas anderem verlaufend, an allen Stellen in gleichem Abstand nebeneinander [befindlich]“.

Die Zweitbedeutung lautet „gleichzeitig in gleicher, ähnlicher Weise neben etwas anderem [vorhanden, erfolgend, geschehend]“.

Synonyme sind „gleich gerichtet, gleichlaufend, in der gleichen Richtung, nebeneinander“.

Angeführt wird zusätzlich eine weitere fachsprachliche Bedeutung (Musik).


Nach dem Duden Online-Wörterbuch hat spiralig folgende Bedeutungen:
Die Bedeutung lautet „spiralförmig; in Spiralwindungen verlaufend“. Es werden keine Synonyme sind angegeben. Zu „Spirale“ wird als Erstbedeutung a. „sich um eine Achse windende Linie“ und b. „gekrümmte Linie, die in immer weiter werdenden Windungen um einen festen Punkt läuft“ angegeben, als Zweitbedeutung a. „spiralförmiger Gegenstand, spiraliges Gebilde“.


Nach dem „Duden Online-Wörterbuch“ hat Muster folgende Bedeutungen:
Die Erstbedeutung lautet „Vorlage, Zeichnung, nach der etwas hergestellt, gemacht wird“.

Die Zweitbedeutung lautet „etwas in seiner Art Vollkommenes, nachahmenswertes, beispielhaftes Vorbild in Bezug auf etwas Bestimmtes“.

Die Drittbedeutung lautet „aus der Kombination von einzelnen Motiven bestehende [regelmäßige], sich wiederholende, flächige Verzierung, Zeichnung auf Papier, Stoff o. Ä.“.

Die Viertbedeutung lautet „kleines Stück, kleine Menge einer Ware, an der man die Beschaffenheit des Ganzen erkennen kann“.

Als hauptsächliche Synonyme werden „Archetyp, Entwurf, Modell, Plan“ angegeben.

4.1.2 Die Verwendung als kinästhetischer Fachbegriff

Das Fachbegriffspaar „Parallele und spiralige Bewegungsmuster“ beginnt sich ab 1994 durchzusetzen. Schon im Jahr 1982 findet sich ein Hinweis auf die spiralförmige Körperstruktur und damit verbundene Bewegungsabläufe, die sich durch Leichtigkeit auszeichnen. Aus dem Jahr 1986 stammt ein Hinweis auf den Zusammenhang zwischen den heutigen Grundpositionen und dem Weg vom Liegen ins Stehen mit Spiralbewegungen. Schließlich findet sich im Jahr 1988 ein erster Hinweis auf die Bedeutung der spiralförmigen Bewegung für die embryonale und frühkindliche Entwicklung. In den frühen 1990er-Jahren etabliert sich die fachsprachliche Beschreibung des spiraligen Bewegungsmuster durch Drehen und Beugen oder Drehen und Strecken.

Um die beiden Bewegungsmuster zu unterscheiden, werden Begriffe wie zweidimensional, linear, einachsig für parallele Bewegungsmuster, Begriffe wie dreidimensional, spiralig, vielachsig für spiralige Bewegungsmuster verwendet. In der gleichen Zeit entwickelt sich die heutige fachsprachliche Beschreibung, dass die Kombination von Haltungs- und Transportbewegungen zu den beiden Bewegungsmustern führt. Von Beginn weg finden sich Hinweise, dass parallele Bewegungsmuster im Vergleich mit spiraligen anspruchsvoller und anstrengender sind. Letztere erlauben eine leichtere Kontrolle der Bewegung, die auch jederzeit mit wenig Kraftaufwand angehalten oder umgekehrt werden kann.

Als kinästhetischer Fachbegriff wird „Parallele und spiralige Bewegungsmuster" ausgehend von den gemeinsprachlichen Bedeutungen spezifisch definiert verwendet.

4.2 Herkunft

Nach dem Duden Herkunftswörterbuch wurde das Wort parallel im 16. Jahrhundert als mathematischer Fachbegriff aus lateinisch parallelus entlehnt, beides mit der Bedeutung „in gleichem Abstand nebeneinanderverlaufend, gleichlaufend“. Das lateinische Wort geht auf griechisch par-állelos zurück. Dieses ist eine Wortbildung aus pará mit der Bedeutung „neben, neben – hin, entlang“ und állos mit der Bedeutung „ein anderer“ bzw. allélon „einander“.

Ableitungen sind „Parallele“ und „parallelisieren“.

Nach dem Duden Herkunftswörterbuch ist das Wort Spirale eine Neubildung des 18. Jahrhunderts mit der Bedeutung „ebene Kurve, die in unendlich vielen, immer weiter werdenden Windungen einen festen Punkt umläuft; Uhrfeder“. Sie geht zurück auf mittellateinisch spirális schneckenförmig sich windend“, eine Adjektivbildung zu lateinisch spira „gewundene Linie, in Schneckenlinie gewundener Körper“, das wiederum auf griechisch speira „Windung, Spirale“ zurückgeht.

Über die Herkunft des Wortes Muster gibt der Artikel „Muster: Von der Minne zum Monster“ aus der Zeitschrift „lebensqualität“ (03/2013) Auskunft.

5 Einzelnachweise

  1. European Kinaesthetics Association (Hg.) (2023): Kinaesthetics. Konzeptsystem. Linz, Winterthur: Verlag European Kinaesthetics Association. ISBN 978-3-903180-00-0. S. 34 und 36.
  2. ebd., S. 36 f.
  3. ebd., S. 33 ff.
  4. ebd., S. 36 f.
  5. ebd., S. 36.
  6. ebd.
  7. ebd.
  8. ebd., S. 37.
  9. ebd., S. 52.
  10. vgl. ebd., S. 52.
  11. ebd.
  12. ebd.
  13. ebd., S. 30.
  14. vgl. ebd., S. 21 ff.
  15. vgl. ebd., S. 28 ff.
  16. vgl. ebd., S. 30.
  17. ebd.
  18. ebd., S. 43 ff.
  19. ebd., S. 43.
  20. ebd., S. 52.
  21. Maietta, Lenny; Hatch, Frank (2011): Kinaesthetics Infant Handling. Originalmanuskript aus dem Amerikanischen von Ute Villwock. 2., durchgesehene und aktualisierte Auflage. Bern [u. a.]: Hans Huber. ISBN 978-3-456-84987-4. S. 102.
  22. ebd., S. 103.
  23. Maietta, Lenny; Hatch, Frank; Bauder, Heidi (1996):Kinästhetik Infant Handling. Grundkurs Arbeitsbuch. Aarau: Institut für Kinästhetik IfK AG. S. 33.
  24. Maietta, Lenny; Hatch, Frank (2011): Kinaesthetics Infant Handling. Originalmanuskript aus dem Amerikanischen von Ute Villwock. 2., durchgesehene und aktualisierte Auflage. Bern [u. a.]: Hans Huber. ISBN 978-3-456-84987-4. S. 103.
  25. ebd., S. 103 f.
  26. Hatch, Frank; Maietta, Lenny (2003): Kinästhetik. Gesundheitsentwicklung und menschliche Aktivitäten. Übersetzung: Ute Villwock, Elisabeth Brock. 2., komplett überarbeitete Auflage. München, Jena: Urban und Fischer. ISBN 978-3-437-31467-4. S. 46.
  27. ebd., S. 47.
  28. ebd., S. 48 ff.
  29. ebd., S. 53 ff.
  30. ebd., S. 55.
  31. ebd., S. 53.
  32. ebd., S. 53 f.
  33. ebd., S. 104.
  34. ebd., S. 105.
  35. ebd., S. 113.
  36. ebd., S. 114.
  37. vgl. dazu Wikipedia: Rotationsachse (Zugriff 14.03.2024) und DocCheck Flexikon: Körperachse (Zugriff 14.03.2024)
  38. Verein für Kinästhetik (Hg.) (2011): Kinästhetik Bulletin Nr. 1–24, 1980–1996. Nachdruck. Siebnen: verlag lebensqualität.
  39. European Kinaesthetics Association (Hg.) (2024): Kinaesthetics/Kinästhetik: Die Geschichte. Infoblatt 4. Linz, Siebnen: Verlag European Kinaesthetics Association. Ohne ISBN. S. 1.
  40. Verein für Kinästhetik (Hg.) (1982): Kinästhetik. 2. Bulletin. Januar 1982. Zürich: Verein für Kinästhetik. Ohne ISBN. S. 14.
  41. ebd., S. 5.
  42. European Kinaesthetics Association (Hg.) (2023): Kinaesthetics. Konzeptsystem. Linz, Winterthur: Verlag European Kinaesthetics Association. ISBN 978-3-903180-00-0. S. 30: „Der spiralförmige Verlauf von Vorder- und Rückseiten …“
  43. ebd., S. 36 ff.: „3.2. Parallele und spiralige Bewegungsmuster“ oder auch S. 52: „Fortbewegung in vertikaler Richtung – Positionswechsel“.
  44. Verein für Kinästhetik (Hg.) (1986): Kinästhetik. 11. Bulletin. Dezember 1986. Zürich: Verein für Kinästhetik. Ohne ISBN. S. 13 f.
  45. Verein für Kinästhetik (Hg.) (1988): Kinästhetik. 15. Bulletin. Oktober 1988. Zürich: Verein für Kinästhetik. Ohne ISBN. S. 21.
  46. ebd., S. 41.
  47. Verein für Kinästhetik (Hg.) (1990): Kinästhetik. 16. Bulletin. Januar 1990. Sonderausgabe. Dritte Auflage. Zürich: Verein für Kinästhetik. Ohne ISBN. S. 16.
  48. ebd., S. 20 ff.
  49. ebd., S. 26.
  50. Verein für Kinästhetik (Hg.) (1988): Kinästhetik. 17. Bulletin. September 1990. Zürich: Verein für Kinästhetik. Ohne ISBN. S. 6.
  51. ebd., S. 10 (12).
  52. Maietta, Lenny; Hatch, Frank (1991): Kinästhetik in der Krankenpflege. Arbeitsbuch. Grundkurs. Übersetzt von Ina Citron. Santa Fé: Maietta-Hatch-Inc. Ohne ISBN. S. II.3.
  53. ebd., S. II.11
  54. ebd., S. II.13 und II.14
  55. ebd., S. II.18
  56. Verein für Kinästhetik (Hg.) (1993): Kinästhetik. 20. Bulletin. Januar 1993. Zürich: Verein für Kinästhetik. Ohne ISBN. S. 11 ff.
  57. ebd., S. 53 f.
  58. Verein für Kinästhetik (Hg.) (1993): Kinästhetik. Bulletin Nr. 22. Juli 1994. Zürich: Verein für Kinästhetik. Ohne ISBN. S. 32.
  59. ebd., S. 30.
  60. Maietta, Lenny (1994): Kinästhetik in der Pflege-Grundkurs - Kurzdarstellung. Übersetzt von Ina Citron. USA: Maietta-Hatch, Inc. Ohne ISBN.
  61. ebd., S. 7.
  62. Asmussen-Clausen, Maren (2009): Praxisbuch Kinaesthetics. Erfahrungen zur individuellen Bewegungsunterstützung auf Basis der Kinästhetik. 2. Auflage. München, Jena: Elsevier, Urban und Fischer. ISBN 978-3-437-27570-8. S. 44.
  63. Maietta, Lenny; Hatch, Frank; Bauder, Heidi (1996): Kinästhetik in der Pflege. Grundkurs-Arbeitsbuch. Zeichnungen: Ansgar Schürenberg. Aarau: Institut für Kinästhetik IfK AG. S. 23 ff.
    Maietta, Lenny; Hatch, Frank; Bauder, Heidi (1996):Kinästhetik Infant Handling. Grundkurs Arbeitsbuch. Aarau: Institut für Kinästhetik IfK AG. S. 29 ff.
  64. Maietta, Lenny; Hatch, Frank; Bauder, Heidi (1996): Kinästhetik in der Pflege. Grundkurs-Arbeitsbuch. Zeichnungen: Ansgar Schürenberg. Aarau: Institut für Kinästhetik IfK AG. S. 24.
  65. ebd., S. 24 f.
  66. ebd., S. 24.
  67. Hatch, Frank; Maietta, Lenny; Schmidt, Suzanne (1992): Kinästhetik. Interaktion durch Berührung und Bewegung in der Krankenpflege. 1. Auflage. Eschborn: Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe. ISBN 3-927944-02-5. S. 67 ff.
  68. ebd., S. 68.
  69. ebd., S. 69.
  70. ebd., S. 70.
  71. ebd., S. 70 f.
  72. Hatch, Frank; Maietta, Lenny; Schmidt, Suzanne (1996): Kinästhetik. Interaktion durch Berührung und Bewegung in der Krankenpflege. Übersetzung: Ina Citron. 4., überarbeitete Auflage. Eschborn: Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe. ISBN 3-927944-02-5.
  73. ebd., S. 69.
  74. ebd., S. 70.
  75. ebd., S. 72.
  76. ebd.
  77. ebd. (1992), S. 84 bzw. ebd. (1996), S. 84.
  78. ebd., S. 74.
  79. ebd., S. 74.
  80. ebd. (1992 und 1996), S. 69.
  81. ebd. (1992 und 1996), S. 39 ff.
  82. ebd. (1992 und 1996), S. 50 ff.
  83. ebd. (1992 und 1996), S. 59 ff.
  84. ebd. (1992 und 1996), S. 59 und 60.