Bewegungskompetenz: Unterschied zwischen den Versionen

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Der Begriff Bewegungskompetenz spielt eine zentrale Rolle in Kinaesthetics. Er wird in diesem Rahmen folgendermaßen verstanden: für Menschen und Tiere ist es überlebenswichtig und eine
Der Begriff Bewegungskompetenz spielt eine zentrale Rolle in Kinaesthetics. Er wird in diesem Rahmen folgendermaßen verstanden: Für Menschen und Tiere ist es überlebenswichtig und eine Grundbedingung des Lebens, ihre Bewegungskompetenz bzw. die individuellen Möglichkeiten der eigenen Bewegung zu entwickeln. Da wir uns selbst im Laufe des Lebens verändern und ebenso unsere Lebensumstände, müssen wir lernen, unsere Bewegung an diese Veränderungen und Prozesse anzupassen, um zu überleben. Unsere Bewegungskompetenz ist somit besonders dann gefordert, wenn sich unsere eigenen Voraussetzungen durch unsere Entwicklung, durch Erkrankung oder Unfall ändern oder wenn wir unter veränderten, neuen und ungewohnten Bedingungen ein Ziel erreichen wollen. In ähnlicher Weise erfordern auch die Interaktionen mit anderen Menschen ständige spontane Anpassungsleistungen und stellen eine besondere Herausforderung an unsere Bewegungskompetenz dar.
Grundbedingung des Lebens, ihre Bewegungskompetenz
bzw. die individuellen Möglichkeiten der eigenen Bewegung
zu entwickeln. Da wir uns selbst im Laufe des Lebens
verändern und ebenso unsere Lebensumstände, müssen wir
lernen, unsere Bewegung an diese Veränderungen und
Prozesse anzupassen, um zu überleben. Unsere
Bewegungskompetenz ist somit besonders dann gefordert,
wenn sich unsere eigenen Voraussetzungen durch unsere
Entwicklung, durch Erkrankung oder Unfall ändern oder
wenn wir unter veränderten, neuen und ungewohnten
Bedingungen ein Ziel erreichen wollen. In ähnlicher Weise
erfordern auch die Interaktionen mit anderen Menschen
ständige spontane Anpassungsleistungen und stellen eine
besondere Herausforderung an unsere
Bewegungskompetenz dar.


Darum betrachtet Kinaesthetics grundsätzlich die
Darum betrachtet Kinaesthetics grundsätzlich die Bewegungskompetenz, d. h. die Gestaltungs- und Anpassungsmöglichkeiten der eigenen Bewegung, aus der Perspektive der [[Gesundheitsentwicklung|Gesundheits-]] und Persönlichkeitsentwicklung. Die Entwicklung der Bewegungskompetenz ist ein individueller Lern- und Erfahrungsprozess, der die grundlegenden Möglichkeiten und Bedingungen der Bewegung betrifft. Jeder Mensch hat eine erfahrungsbasierte, bewusste oder unbewusste Lerngeschichte bezüglich der eigenen, grundlegenden Bewegungsmöglichkeiten. Dabei geht es um Fragen wie: „Wo habe ich welchen Spielraum in meinem Körper? Wie kann ich mit einer angemessenen [[Anstrengung]] meine Bewegung in der [[Schwerkraft]] kontrollieren? Wie hängt meine [[Anstrengung]] mit der Zeit, die ich mir für eine Bewegung nehme, und mit dem Raum, den ich nutze, zusammen?“
Bewegungskompetenz, d. h. die Gestaltungs- und
Anpassungsmöglichkeiten der eigenen Bewegung, aus der
Perspektive der [[Gesundheitsentwicklung|Gesundheits-]] und Persönlichkeitsentwicklung.
Die Entwicklung der Bewegungskompetenz ist ein
individueller Lern- und Erfahrungsprozess, der
die grundlegenden Möglichkeiten und Bedingungen der
Bewegung betrifft. Jeder Mensch hat eine
erfahrungsbasierte, bewusste oder unbewusste
Lerngeschichte bezüglich der eigenen, grundlegenden
Bewegungsmöglichkeiten. Dabei geht es um Fragen wie:
„Wo habe ich welchen Spielraum in meinem Körper? Wie
kann ich mit einer angemessenen [[Anstrengung]] meine
Bewegung in der [[Schwerkraft]] kontrollieren? Wie hängt
meine [[Anstrengung]] mit der Zeit, die ich mir für eine
Bewegung nehme, und mit dem Raum, den ich nutze,
zusammen?“


Die Entwicklung der Bewegungskompetenz geht immer mit
Die Entwicklung der Bewegungskompetenz geht immer mit der Entwicklung von mehr oder weniger Wahlmöglichkeiten einher. Der Variantenreichtum, mit dem wir unsere Bewegung – bewusst oder unbewusst – in ganz alltäglichen Aktivitäten an die jeweilige Situation anpassen, beeinflusst wesentlich die Entwicklung unserer Bewegungskompetenz und dadurch unsere [[Gesundheitsentwicklung]] und [[Lebensqualität]]. Konkret zeigt sich also eine hohe Bewegungskompetenz in der individuellen und situativ angepassten Vielfalt an [[Bewegungsmustern]] im Alltag und darin, dass diese produktiv weiterentwickelt werden können. Vor diesem Hintergrund grenzt sich der Begriff Bewegungskompetenz von der quantitativen Betrachtung der Bewegungsleistung (z. B. „Wie schnell kann ich laufen, wie hoch springen?“) ab. Desgleichen bemisst sich Bewegungskompetenz nicht daran, ob jemand spezifische motorische Fertigkeiten (z. B. Schreiben, Klavierspielen, Tanzen, Schreinern) lernen kann. Darum kann nach dem Verständnis von Kinaesthetics auch ein Mensch, der aufgrund einer Behinderung weder laufen noch schreiben lernen kann, mit seinen individuellen Voraussetzungen in der selbstständigen oder unterstützten Bewältigung seines Alltags eine sehr hohe Bewegungskompetenz entwickeln.
der Entwicklung von mehr oder weniger Wahlmöglichkeiten
einher. Der Variantenreichtum, mit dem wir unsere
Bewegung – bewusst oder unbewusst – in ganz alltäglichen
Aktivitäten an die jeweilige Situation anpassen, beeinflusst
wesentlich die Entwicklung unserer Bewegungskompetenz
und dadurch unsere [[Gesundheitsentwicklung]] und
[[Lebensqualität]]. Konkret zeigt sich also eine
hohe Bewegungskompetenz in der individuellen und situativ
angepassten Vielfalt an [[Bewegungsmustern]] im Alltag und
darin, dass diese produktiv weiterentwickelt werden können.
Vor diesem Hintergrund grenzt sich der Begriff
Bewegungskompetenz von der quantitativen Betrachtung
der Bewegungsleistung (z. B. „Wie schnell kann ich laufen,
wie hoch springen?“) ab. Desgleichen bemisst sich
Bewegungskompetenz nicht daran, ob jemand spezifische
motorische Fertigkeiten (z. B. Schreiben, Klavierspielen,
Tanzen, Schreinern) lernen kann. Darum kann nach dem
Verständnis von Kinaesthetics auch ein Mensch, der
aufgrund einer Behinderung weder laufen noch schreiben
lernen kann, mit seinen individuellen Voraussetzungen in der
selbstständigen oder unterstützten Bewältigung seines
Alltags eine sehr hohe Bewegungskompetenz entwickeln.


Zusammenfassend bezeichnet der Begriff
Zusammenfassend bezeichnet der Begriff Bewegungskompetenz also die [[Kompetenz]] eines Menschen, sein Potenzial an grundlegenden Bewegungsmöglichkeiten bei der Verwirklichung einer persönlichen oder gemeinsamen Absicht im gegebenen Moment entwicklungs- und
Bewegungskompetenz also die [[Kompetenz]] eines Menschen,
sein Potenzial an grundlegenden Bewegungsmöglichkeiten
bei der Verwirklichung einer persönlichen oder
gemeinsamen Absicht im gegebenen Moment entwicklungs- und
[[Gesundheitsentwicklung|gesundheitsfördernd]] ausschöpfen zu können.
[[Gesundheitsentwicklung|gesundheitsfördernd]] ausschöpfen zu können.
==Bewegungskompetenz als Lernprozess==
==Bewegungskompetenz als Lernprozess==
Bewegungskompetenz ist dem Menschen nicht als feste
Bewegungskompetenz ist dem Menschen nicht als feste Größe angeboren, die sich in vorgegebenen Bahnen entwickelt. Jeder Mensch entwickelt seine Bewegungskompetenz individuell, einesteils für sich allein, besonders aber durch seine Interaktionen mit anderen Menschen. Dies wird in den ersten Lebensjahren sehr deutlich, in denen das Kind hauptsächlich durch seine Bewegungsinteraktionen mit den Eltern, Betreuungspersonen und anderen Kindern seine Bewegungsmöglichkeiten entdeckt und seine eigenen [[Bewegungsmuster]] entwickelt. Die Entwicklung der Bewegungskompetenz ist ein lebenslanger, ununterbrochener Lernprozess, der uns in der Regel nicht bewusst ist. Wie bewusst und wie weit ein einzelner Mensch seine Bewegungskompetenz entwickelt und zu welchen Fertigkeiten er sie nutzt, hängt also mit seiner individuellen Lerngeschichte und der Geschichte seiner Bewegungsentwicklung zusammen. „Bewusst“ meint
Größe angeboren, die sich in vorgegebenen Bahnen
dabei die gezielte Beschäftigung mit der eigenen Bewegung oder eine gelenkte Achtsamkeit, ob sie nun sprachlich reflektiert wird oder nicht.
entwickelt. Jeder Mensch entwickelt seine
Bewegungskompetenz individuell, einesteils für sich allein,
besonders aber durch seine Interaktionen mit anderen
Menschen. Dies wird in den ersten Lebensjahren sehr
deutlich, in denen das Kind hauptsächlich durch seine
Bewegungsinteraktionen mit den Eltern,
Betreuungspersonen und anderen Kindern seine
Bewegungsmöglichkeiten entdeckt und seine eigenen
[[Bewegungsmuster]] entwickelt.
Die Entwicklung der Bewegungskompetenz ist ein
lebenslanger, ununterbrochener Lernprozess, der uns in der
Regel nicht bewusst ist. Wie bewusst und wie weit ein
einzelner Mensch seine Bewegungskompetenz entwickelt
und zu welchen Fertigkeiten er sie nutzt, hängt also mit
seiner individuellen Lerngeschichte und der Geschichte
seiner Bewegungsentwicklung zusammen. „Bewusst“ meint
dabei die gezielte Beschäftigung mit der eigenen
Bewegung oder eine gelenkte Achtsamkeit, ob sie nun
sprachlich reflektiert wird oder nicht.


Eine Grundlage für die Entwicklung der
Eine Grundlage für die Entwicklung der Bewegungskompetenz bildet die individuelle Sensibilität eines Menschen für die [[Wahrnehmung]] von [[Unterschied|Unterschieden]] in der eigenen Bewegung. Diese [[Wahrnehmung]] von [[Unterschieden]] wird in Kinaesthetics im Kontext der Steuerung der Bewegung in der [[Schwerkraft]] betrachtet. Gemäß der [[Feedback-Control-Theorie]] beruht die Bewegungssteuerung auf dem Zusammenspiel des Bewegungs-, Wahrnehmungs- und Nervensystems. Alle Prozesse und Aktivitäten des Lebens – vom Herzschlag, der Verdauung, dem Sitzen, dem Gehen bis hin zum Sprechen und Denken – beruhen direkt auf der willkürlich steuerbaren Bewegung oder sind aufs Engste mit ihr verbunden. Darum ist die Entwicklung der Bewegungskompetenz eine grundlegende und unumgehbare Herausforderung des Lebens und steht in einem engen Zusammenhang mit der persönlichen
Bewegungskompetenz bildet die individuelle Sensibilität
eines Menschen für die [[Wahrnehmung]] von [[Unterschied|Unterschieden]] in
der eigenen Bewegung. Diese [[Wahrnehmung]] von
[[Unterschieden]] wird in Kinaesthetics im Kontext der
Steuerung der Bewegung in der [[Schwerkraft]] betrachtet.
Gemäß der [[Feedback-Control-Theorie]] beruht die
Bewegungssteuerung auf dem Zusammenspiel des
Bewegungs-, Wahrnehmungs- und Nervensystems.
Alle Prozesse und Aktivitäten des Lebens – vom Herzschlag,
der Verdauung, dem Sitzen, dem Gehen bis hin zum
Sprechen und Denken – beruhen direkt auf der willkürlich
steuerbaren Bewegung oder sind aufs Engste mit ihr
verbunden. Darum ist die Entwicklung der
Bewegungskompetenz eine grundlegende und
unumgehbare Herausforderung des Lebens und steht in
einem engen Zusammenhang mit der persönlichen
[[Gesundheitsentwicklung]].
[[Gesundheitsentwicklung]].
==Komponenten der Bewegungskompetenz==
==Komponenten der Bewegungskompetenz==
Im Folgenden werden aus der Perspektive der Erfahrbarkeit
Im Folgenden werden aus der Perspektive der Erfahrbarkeit die Komponenten und Faktoren beschrieben, die im Zusammenspiel die Bewegungskompetenz ausmachen und helfen, sie bewusst zu entwickeln. Auf der Grundlage der [[Feedback-Control-Theorie]] beleuchten die ersten beiden Komponenten dieses Modells die Faktoren der Sensibilisierung der Wahrnehmung und der Entwicklung einer differenzierten Bewegung, die dritte Komponente die Faktoren der Verhaltenssteuerung. Sie werden aus der Ich-Perspektive dargestellt.
die Komponenten und Faktoren beschrieben, die im
=== Differenziert wahrnehmen: Die Verfeinerung der Sensibilität meiner Bewegungswahrnehmung ===
Zusammenspiel die Bewegungskompetenz ausmachen und
Ich kann Unterschiede, die ich durch die Ausführung oder Variation einer Aktivität selbst erzeuge, durch eine fokussierte Lenkung der Achtsamkeit bewusst wahrnehmen. Ich kann einen solchen Fokus in verschiedenen Aktivitäten über einen immer längeren Zeitraum halten. Andererseits bin ich imstande, den Fokus während einer Aktivität bewusst zu wechseln. Dadurch nehme ich Eigenschaften meiner eigenen Bewegung in einer einzelnen Aktivität unter verschiedenen [[Blickwinkeln]] wahr.
helfen, sie bewusst zu entwickeln. Auf der Grundlage der
 
[[Feedback-Control-Theorie]] beleuchten die
=== Differenziert variieren: Die Erweiterung meines persönlichen Gestaltungsspielraumes ===
ersten beiden Komponenten dieses Modells die Faktoren
Ich kann eine Aktivität bewusst gestalten, diese Gestaltung variieren und mich mit ihr sowie den zugrunde liegenden [[Bewegungsmustern]] auseinandersetzen. Ich bin in der Lage, Aktivitäten bewusst z. B. schneller oder langsamer, mit mehr oder weniger [[Anstrengung]] auszuführen oder die Richtung der Bewegung meiner Körperteile bewusst zu variieren. [[Viabilität|Viabel]] handeln: Die Entwicklung produktiver Verhaltensmöglichkeiten Ich kann gleichzeitig eine komplexe Herausforderung des Alltags bewältigen, auf die Qualität meiner eigenen Bewegung achten und dadurch mein Verhalten passend und zum Ziel führend steuern. Ich bin imstande, meine eigene Bewegung bewusst und produktiv an meine individuellen Voraussetzungen, an diejenigen von InteraktionspartnerInnen sowie an die Absicht und den Verlauf der Situation anzupassen. Ich bin in der Lage, die Achtsamkeit auf meine Bewegung im Verlauf einer Situation differenziert zu lenken und so die eigene Bewegung möglichst optimal am Kriterium von [[Lernen]] und [[Entwicklung]] zu orientieren.
der Sensibilisierung der Wahrnehmung und der Entwicklung
 
einer differenzierten Bewegung, die dritte Komponente die
Faktoren der Verhaltenssteuerung. Sie werden aus der
Ich-Perspektive dargestellt.
Differenziert wahrnehmen: Die Verfeinerung der
Sensibilität meiner Bewegungswahrnehmung
Ich kann Unterschiede, die ich durch die Ausführung oder
Variation einer Aktivität selbst erzeuge, durch eine
fokussierte Lenkung der Achtsamkeit bewusst wahrnehmen.
Ich kann einen solchen Fokus in verschiedenen Aktivitäten
über einen immer längeren Zeitraum halten. Andererseits
bin ich imstande, den Fokus während einer Aktivität bewusst
zu wechseln. Dadurch nehme ich Eigenschaften meiner
eigenen Bewegung in einer einzelnen Aktivität unter
verschiedenen [[Blickwinkeln]] wahr.
Differenziert variieren: Die Erweiterung meines
persönlichen Gestaltungsspielraumes
Ich kann eine Aktivität bewusst gestalten, diese Gestaltung
variieren und mich mit ihr sowie den zugrunde liegenden
[[Bewegungsmustern]] auseinandersetzen. Ich bin in der Lage,
Aktivitäten bewusst z. B. schneller oder langsamer, mit mehr
oder weniger [[Anstrengung]] auszuführen oder die Richtung
der Bewegung meiner Körperteile bewusst zu variieren.
[[Viabilität|Viabel]] handeln: Die Entwicklung produktiver
Verhaltensmöglichkeiten
Ich kann gleichzeitig eine komplexe Herausforderung des
Alltags bewältigen, auf die Qualität meiner eigenen
Bewegung achten und dadurch mein Verhalten passend und
zum Ziel führend steuern. Ich bin imstande, meine eigene
Bewegung bewusst und produktiv an meine individuellen
Voraussetzungen, an diejenigen von
InteraktionspartnerInnen sowie an die Absicht und den
Verlauf der Situation anzupassen. Ich bin in der Lage, die
Achtsamkeit auf meine Bewegung im Verlauf einer Situation
differenziert zu lenken und so die eigene Bewegung
möglichst optimal am Kriterium von [[Lernen]] und [[Entwicklung]]
zu orientieren.
[[Kategorie:Menschenbild]]
[[Kategorie:Menschenbild]]

Version vom 12. Februar 2017, 10:15 Uhr

Der Begriff Bewegungskompetenz spielt eine zentrale Rolle in Kinaesthetics. Er wird in diesem Rahmen folgendermaßen verstanden: Für Menschen und Tiere ist es überlebenswichtig und eine Grundbedingung des Lebens, ihre Bewegungskompetenz bzw. die individuellen Möglichkeiten der eigenen Bewegung zu entwickeln. Da wir uns selbst im Laufe des Lebens verändern und ebenso unsere Lebensumstände, müssen wir lernen, unsere Bewegung an diese Veränderungen und Prozesse anzupassen, um zu überleben. Unsere Bewegungskompetenz ist somit besonders dann gefordert, wenn sich unsere eigenen Voraussetzungen durch unsere Entwicklung, durch Erkrankung oder Unfall ändern oder wenn wir unter veränderten, neuen und ungewohnten Bedingungen ein Ziel erreichen wollen. In ähnlicher Weise erfordern auch die Interaktionen mit anderen Menschen ständige spontane Anpassungsleistungen und stellen eine besondere Herausforderung an unsere Bewegungskompetenz dar.

Darum betrachtet Kinaesthetics grundsätzlich die Bewegungskompetenz, d. h. die Gestaltungs- und Anpassungsmöglichkeiten der eigenen Bewegung, aus der Perspektive der Gesundheits- und Persönlichkeitsentwicklung. Die Entwicklung der Bewegungskompetenz ist ein individueller Lern- und Erfahrungsprozess, der die grundlegenden Möglichkeiten und Bedingungen der Bewegung betrifft. Jeder Mensch hat eine erfahrungsbasierte, bewusste oder unbewusste Lerngeschichte bezüglich der eigenen, grundlegenden Bewegungsmöglichkeiten. Dabei geht es um Fragen wie: „Wo habe ich welchen Spielraum in meinem Körper? Wie kann ich mit einer angemessenen Anstrengung meine Bewegung in der Schwerkraft kontrollieren? Wie hängt meine Anstrengung mit der Zeit, die ich mir für eine Bewegung nehme, und mit dem Raum, den ich nutze, zusammen?“

Die Entwicklung der Bewegungskompetenz geht immer mit der Entwicklung von mehr oder weniger Wahlmöglichkeiten einher. Der Variantenreichtum, mit dem wir unsere Bewegung – bewusst oder unbewusst – in ganz alltäglichen Aktivitäten an die jeweilige Situation anpassen, beeinflusst wesentlich die Entwicklung unserer Bewegungskompetenz und dadurch unsere Gesundheitsentwicklung und Lebensqualität. Konkret zeigt sich also eine hohe Bewegungskompetenz in der individuellen und situativ angepassten Vielfalt an Bewegungsmustern im Alltag und darin, dass diese produktiv weiterentwickelt werden können. Vor diesem Hintergrund grenzt sich der Begriff Bewegungskompetenz von der quantitativen Betrachtung der Bewegungsleistung (z. B. „Wie schnell kann ich laufen, wie hoch springen?“) ab. Desgleichen bemisst sich Bewegungskompetenz nicht daran, ob jemand spezifische motorische Fertigkeiten (z. B. Schreiben, Klavierspielen, Tanzen, Schreinern) lernen kann. Darum kann nach dem Verständnis von Kinaesthetics auch ein Mensch, der aufgrund einer Behinderung weder laufen noch schreiben lernen kann, mit seinen individuellen Voraussetzungen in der selbstständigen oder unterstützten Bewältigung seines Alltags eine sehr hohe Bewegungskompetenz entwickeln.

Zusammenfassend bezeichnet der Begriff Bewegungskompetenz also die Kompetenz eines Menschen, sein Potenzial an grundlegenden Bewegungsmöglichkeiten bei der Verwirklichung einer persönlichen oder gemeinsamen Absicht im gegebenen Moment entwicklungs- und gesundheitsfördernd ausschöpfen zu können.

Bewegungskompetenz als Lernprozess

Bewegungskompetenz ist dem Menschen nicht als feste Größe angeboren, die sich in vorgegebenen Bahnen entwickelt. Jeder Mensch entwickelt seine Bewegungskompetenz individuell, einesteils für sich allein, besonders aber durch seine Interaktionen mit anderen Menschen. Dies wird in den ersten Lebensjahren sehr deutlich, in denen das Kind hauptsächlich durch seine Bewegungsinteraktionen mit den Eltern, Betreuungspersonen und anderen Kindern seine Bewegungsmöglichkeiten entdeckt und seine eigenen Bewegungsmuster entwickelt. Die Entwicklung der Bewegungskompetenz ist ein lebenslanger, ununterbrochener Lernprozess, der uns in der Regel nicht bewusst ist. Wie bewusst und wie weit ein einzelner Mensch seine Bewegungskompetenz entwickelt und zu welchen Fertigkeiten er sie nutzt, hängt also mit seiner individuellen Lerngeschichte und der Geschichte seiner Bewegungsentwicklung zusammen. „Bewusst“ meint dabei die gezielte Beschäftigung mit der eigenen Bewegung oder eine gelenkte Achtsamkeit, ob sie nun sprachlich reflektiert wird oder nicht.

Eine Grundlage für die Entwicklung der Bewegungskompetenz bildet die individuelle Sensibilität eines Menschen für die Wahrnehmung von Unterschieden in der eigenen Bewegung. Diese Wahrnehmung von Unterschieden wird in Kinaesthetics im Kontext der Steuerung der Bewegung in der Schwerkraft betrachtet. Gemäß der Feedback-Control-Theorie beruht die Bewegungssteuerung auf dem Zusammenspiel des Bewegungs-, Wahrnehmungs- und Nervensystems. Alle Prozesse und Aktivitäten des Lebens – vom Herzschlag, der Verdauung, dem Sitzen, dem Gehen bis hin zum Sprechen und Denken – beruhen direkt auf der willkürlich steuerbaren Bewegung oder sind aufs Engste mit ihr verbunden. Darum ist die Entwicklung der Bewegungskompetenz eine grundlegende und unumgehbare Herausforderung des Lebens und steht in einem engen Zusammenhang mit der persönlichen Gesundheitsentwicklung.

Komponenten der Bewegungskompetenz

Im Folgenden werden aus der Perspektive der Erfahrbarkeit die Komponenten und Faktoren beschrieben, die im Zusammenspiel die Bewegungskompetenz ausmachen und helfen, sie bewusst zu entwickeln. Auf der Grundlage der Feedback-Control-Theorie beleuchten die ersten beiden Komponenten dieses Modells die Faktoren der Sensibilisierung der Wahrnehmung und der Entwicklung einer differenzierten Bewegung, die dritte Komponente die Faktoren der Verhaltenssteuerung. Sie werden aus der Ich-Perspektive dargestellt.

Differenziert wahrnehmen: Die Verfeinerung der Sensibilität meiner Bewegungswahrnehmung

Ich kann Unterschiede, die ich durch die Ausführung oder Variation einer Aktivität selbst erzeuge, durch eine fokussierte Lenkung der Achtsamkeit bewusst wahrnehmen. Ich kann einen solchen Fokus in verschiedenen Aktivitäten über einen immer längeren Zeitraum halten. Andererseits bin ich imstande, den Fokus während einer Aktivität bewusst zu wechseln. Dadurch nehme ich Eigenschaften meiner eigenen Bewegung in einer einzelnen Aktivität unter verschiedenen Blickwinkeln wahr.

Differenziert variieren: Die Erweiterung meines persönlichen Gestaltungsspielraumes

Ich kann eine Aktivität bewusst gestalten, diese Gestaltung variieren und mich mit ihr sowie den zugrunde liegenden Bewegungsmustern auseinandersetzen. Ich bin in der Lage, Aktivitäten bewusst z. B. schneller oder langsamer, mit mehr oder weniger Anstrengung auszuführen oder die Richtung der Bewegung meiner Körperteile bewusst zu variieren. Viabel handeln: Die Entwicklung produktiver Verhaltensmöglichkeiten Ich kann gleichzeitig eine komplexe Herausforderung des Alltags bewältigen, auf die Qualität meiner eigenen Bewegung achten und dadurch mein Verhalten passend und zum Ziel führend steuern. Ich bin imstande, meine eigene Bewegung bewusst und produktiv an meine individuellen Voraussetzungen, an diejenigen von InteraktionspartnerInnen sowie an die Absicht und den Verlauf der Situation anzupassen. Ich bin in der Lage, die Achtsamkeit auf meine Bewegung im Verlauf einer Situation differenziert zu lenken und so die eigene Bewegung möglichst optimal am Kriterium von Lernen und Entwicklung zu orientieren.