Feedback-Control-Theorie

Aus Kinaesthetics-Online-Fachlexikon
(Weitergeleitet von Selbstregulation)
Status mit Fachliteratur angelegt
AutorIn/RedakteurIn N. N./Stefan Marty-Teuber
Letzte Änderung 25.07.2024

Zusammenfassung:
Dieser Artikel ist mit Fachliteratur angelegt. Er besteht aus einschlägigen Zitaten zum Thema Feedback-Control-Theorie, einer der häufig genannten kybernetischen Grundlagen mit hoher Bedeutsamkeit in Kinästhetik-Lernprozessen. Die ersten Zitate stammen aus den Büchern „Kinaesthetics – Lernen und Bewegungskompetenz“ und „Kybernetik und Kinästhetik“, die weiteren Zitate stammen aus „Psychology – An Introduction to Behavior Science“ von K. U. und M. F. Smith (1973).

Die Feedback-Control-Theorie in „Kinaesthetics – Lernen und Bewegungskompetenz“

Das folgende Zitat stammt aus dem Buch „Kinaesthetics – Lernen und Bewegungskompetenz“, das als Arbeitsunterlage in Kinaesthetics-Aufbaukursen verwendet wird. Das Zitat ist in das vierte Kapitel „Theoretische Grundlagen von Kinaesthetics“ eingebettet. Die vorausgehenden Unterkapitel „Leben bedeutet Bewegung“ und „Schwerkraft und Bewegung“ beleuchten die grundlegende Bedeutung der Bewegung und der Schwerkraft für das Leben. Das Zitat ist der Text des dritten Unterkapitels „Zirkuläre Selbstregulationsprozesse als Grundlage des menschlichen Verhaltens“.

„Wie steuert der Mensch sein Verhalten? Wie funktioniert die Steuerung all seiner Lebensprozesse? Bei diesen zentralen, aber sehr komplexen Fragen verwendet Kinaesthetics Erklärungsmodelle, die aus der Kybernetik und Neurobiologie stammen. Die Kybernetik versteht den Menschen als ein sich selbst regulierendes Bewegungssystem. Sie erklärt die Steuerung der Lebensprozesse und des Verhaltens mit sogenannten Regelkreisen oder Feedback-Schleifen. In diesen wirken Elemente mit unterschiedlichen Funktionen in einem Kreisprozess zusammen und ermöglichen dadurch eine in jedem Moment anpassungsfähige Steuerung.
K. U. Smith (1907–1994), der Pionier der Verhaltenskybernetik, beschäftigte sich hauptsächlich mit der Erforschung dieser Theorie beim Menschen. Seine Forschungen bilden eine wichtige theoretische Grundlage von Kinaesthetics. Für die Beschreibung der Steuerung des menschlichen Verhaltens verwendete er den Begriff ‚Feedback Control‘ (Smith; Smith 1973[1]). Seine Feedback-Kontroll-Theorie geht davon aus, dass die Steuerung oder besser Regulation (‚Control‘) des menschlichen Verhaltens auf Rückkoppelungsprozessen (‚Feedback‘) beruht. Das bedeutet, dass das Verhalten nicht von einem bestimmten Element, z. B. dem Gehirn, gesteuert wird, sondern durch eine sich selbst regulierende, kreisförmige ‚Zusammenarbeit‘ unterschiedlicher Elemente.
Die drei wesentlichen Elemente dieser Rückkoppelungsschleifen der Verhaltenssteuerung sind:
• Bewegungssystem: die Funktionen des Bewegungsapparates
• Wahrnehmungssystem: die Funktionen der Sinnessysteme
• Nervensystem: die Funktionen des zentralen und des gesamten Nervensystems
Dabei bedingen sich diese drei Elemente wechselseitig, d. h., ohne Bewegung gibt es keine Sinneswahrnehmung, ohne Sinneswahrnehmung gibt es keinen Vergleich mit der Absicht durch das Nervensystem, ohne Vergleich mit der Absicht wiederum keine Bewegung usw. Das ununterbrochene Zusammenspiel zwischen diesen drei Elementen in fast unmittelbarer Rückkoppelung ermöglicht es einem Menschen z. B. zu stehen oder einen Bleistift aufzuheben. Die Steuerung einer solchen Aktivität ergibt sich daraus, dass durch dieses Zusammenspiel fortlaufend die Unterschiede zur Absicht (‚stehen‘, ‚Bleistift aufheben‘) ausgeglichen oder korrigiert werden.
Die Aktivität des Stehens beruht somit auf einer ununterbrochenen Korrektur von ‚Fehlern‘, die wir bei der Verwirklichung dieser Absicht selbst produzieren. Auf diese Weise verlangt die Ausführung jeder Aktivität fortlaufende Anpassungen, die nur durch den zirkulären Wirkungszusammenhang zwischen Bewegungs-, Wahrnehmungs- und Nervensystem möglich werden. Vor diesem Hintergrund interessiert sich Kinaesthetics für die Bewegung und die Bewegungswahrnehmung als Basis der gesamten Sinneswahrnehmung. Sie bilden eine wichtige Grundlage der Verhaltenssteuerung, und jeder Mensch hat, solange er lebt, einen direkten und differenzierten Zugang zu seiner Bewegung(swahrnehmung).“

Legende zur grafischen Darstellung der Feedback-Kontroll-Theorie:

Feedback Kontroll Theorie.png
„Diese Darstellung der Feedback-Control-Theorie beschreibt auf einer ganz grundsätzlichen Ebene die ‚Mitspieler‘ der Verhaltenssteuerung und ihre zirkuläre Rückkoppelung. Dabei werden die Funktionen der Wahrnehmung durch die Symbole unserer Sinne dargestellt. Die Funktionen des Nervensystems werden durch Gehirn und Nervenbahnen und die Aufgaben des Bewegungssystems durch einen Muskel symbolisiert. Während der Ausführung einer Aktivität vollziehen sich die entsprechenden zirkulären Prozesse so schnell, dass wir keine zeitliche Verzögerung zwischen Bewegung, Wahrnehmung und – in kybernetischer Sprache ausgedrückt – dem Vergleich des Ist-Wertes (des jeweiligen ‚Zwischenstandes‘) mit dem Soll-Wert (der Absicht) durch das Nervensystem feststellen.“

Der Text der zugehörigen Infobox „Wir können nicht stehen“:

„Die Funktionsweise unserer Bewegungssteuerung, und damit der Feedback-Kontroll- Theorie, lässt sich ausgezeichnet in einer Bewegungserfahrung nachvollziehen: Stehen Sie auf einem Bein und schließen Sie die Augen. Achten Sie nun darauf, wie Sie auf der Ebene der Bewegung diese Aktivität zustande bringen. Sie werden feststellen, dass Sie fortlaufend Anpassungsbewegungen machen und die ‚Fehler‘ und Unsicherheiten korrigieren, die Sie selbst produzieren. Man könnte folglich sagen, dass wir gar nicht stehen können, sondern nur fortlaufend verhindern, dass wir umfallen.“

Quelle: European Kinaesthetics Association (Hg.) (2020): Kinaesthetics. Lernen und Bewegungskompetenz. Linz, Winterthur: Verlag European Kinaesthetics Association. ISBN 978-3-903180-01-7. S. 43–45.

Die Feedback-Control-Theorie in „Kybernetik und Kinästhetik“

Ausführungen zur menschlichen Selbstregulation im Sinn der Feedback-Control-Theorie

Das folgende Zitat stammt aus dem Buch „Kybernetik und Kinästhetik“, und zwar aus dem abschließenden sechsten Kapitel „Kinästhetik ist praktische Kybernetik“. Vorausgehend werden als Grundlagen eine Bewegungserfahrung angeleitet und die Selbstverständlichkeit der alltäglichen Bewegung sowie Grundfragen thematisiert. Das Zitat ist der Text des nachfolgenden Themas „Interaktion und Kommunikation aus kybernetischer Sicht“. Das Zitat eröffnet das zweite Unterkapitel „Selbstregulation und persönliches Lernen“ und trägt die Überschrift „Wie reguliere ich mich?“.

„Wenn Sie die einleitende Bewegungserfahrung gemacht haben, haben Sie wahrscheinlich Folgendes festgestellt: Wenn Sie im Sitzen die Füße hochheben und sich nicht mit den Händen abstützen, erhöht sich wahrscheinlich Ihre Spannung und es ist nicht mehr so einfach, die Position zu halten. Trotzdem gelingt es Ihnen wie von alleine; offensichtlich liegt in diesem Sinne eine fortlaufende Selbstregulation vor, die erfahrbar, aber auch von Ihnen selbst beeinflussbar ist. Dadurch ist Ihnen das kybernetische Verständnis der Regulation der Bewegung (bzw. der meisten Lebensprozesse) erfahrbar geworden.
Die Kybernetik geht davon aus, dass diese Selbstregulation auf ununterbrochenen, sehr unmittelbaren zirkulären Prozessen zwischen Bewegungs-, Wahrnehmungs- und Nervensystem beruht. Diese Prozesse werden im Modell als kybernetische Regelkreise oder Feedback-Schleifen dargestellt (vgl. Infobox S. 59). Wie im vierten Kapitel erwähnt, versteht die Kinästhetik Positionen wie Liegen, Sitzen oder Stehen, die von außen betrachtet nach statischen, ‚bewegungslosen‘ Zuständen aussehen, als aktive Bewegungen. Eine entsprechende Anleitung zu einer Bewegungserfahrung im Stehen findet sich in der Infobox auf Seite 35. Vielleicht ist im Stehen leichter als im Sitzen erfahrbar, dass es unmöglich ist, bewegungslos in einer Position zu verweilen. Aber tatsächlich sind wir nur dazu imstande, fortlaufend mit vielen kleinen Bewegungen zu verhindern, dass wir umfallen (oder im Liegen einen Dekubitus entwickeln). Bei jeder Aktivität findet also durch Selbstregulation ununterbrochen ein Ausgleich von ‚Fehlern‘ statt, die wir selbst produzieren – und ohne diese ständigen Korrekturen und Anpassungen an die Absicht ist keine zielgerichtete Bewegung möglich. Bei kleinen Kindern, die dabei sind, stehen zu lernen, lässt sich gut beobachten, wie sie in eine tiefere Position plumpsen, wenn eine rechtzeitige ‚Korrektur‘ misslingt.
Wegen ihrer konstanten Unmittelbarkeit, ihrer ‚Geschwindigkeit‘, sind solche Regelkreise oder Feedback-Schleifen nur als Ganzes erfahrbar. Die beteiligten Systeme (Bewegungs-, Wahrnehmungs- und Nervensystem) sind isoliert nicht erfahrbar. Wie wichtig aber dieses ununterbrochene Zusammenspiel bzw. diese Selbstregulation ist, kann einem z. B. unter starkem Alkoholeinfluss auffallen. In diesem Zustand passiert es leicht, dass man ‚Fehler‘ der Bewegung so verzögert wahrnimmt, dass das Nervensystem die Abweichung nicht mehr rechtzeitig berechnen, und damit keine Korrekturen veranlassen kann. Dadurch kommt man zumindest ins Schwanken oder landet gar im Straßengraben ... Für die Effekte solcher zeitlichen Verzögerungen des sensorischen Feedbacks interessierte sich insbesondere der Verhaltenskybernetiker K. U. Smith (vgl. Kapitel 4.3.4); darauf dass Phänomene wie Ataxie und Intentionstremor als Störungen von Regelkreisen erklärt werden können, hatte bereits Norbert Wiener verwiesen (vgl. Infobox S. 26).“

Die zugehörige Infobox zeigt dieselbe Grafik, wie sie oben bei den Zitaten aus dem Buch „Kinaesthetics – Lernen und Bewegungskompetenz“ sichtbar ist. Sie trägt hier die Überschrift „Regelkreis der Bewegungs- bzw. Verhaltensregulation“ und enthält folgenden Text:

„Regelkreis der Bewegungs- bzw. Verhaltensregulation
Die Abbildung zeigt ein kybernetisches Modell der Regulation des menschlichen Verhaltens. Das Gehirn und angedeutete Nerven stehen dabei für das gesamte Nervensystem und der Muskel für das gesamte Bewegungssystem. Den dritten Mitspieler der Feedback-Schleife bilden das kinästhetische Sinnessystem (Muskelspindel auf Muskeln) und – auf ihm basierend bzw. aufs Engste mit ihm verbunden – die klassischen fünf Sinne. Im Prozess des konkreten Verhaltens wird ein solcher Regelkreis besser als eine dynamische, dreidimensionale Spirale beschrieben. Die Gesamtrichtung, in der sich die Spirale im Raum fortbewegt, wird im dreidimensionalen Modell durch die Absicht bzw. durch die fortlaufenden Annäherungen an sie bestimmt. (vgl. European Kinaesthetics Association 2020b, S. 43–45)“

Quelle: European Kinaesthetics Association (Hg.) (2020): Kybernetik und Kinästhetik. Unter Mitarbeit von Stefan Marty-Teuber und Stefan Knobel. Linz, Winterthur, Siebnen: Verlag European Kinaesthetics Association, verlag lebensqualität. ISBN: 978-3-903180-22-2 (Verlag European Kinaesthetics Association) ISBN: 978-3-906888-02-6 (verlag lebensqualität). S. 58 f.

Norbert Wieners Bleistift-Aufheben als frühestes praktisches Beispiel für die Feedback-Control-Theorie

Im 3. Kapitel „Der Kern: Feedback und Zirkularität“ (S. 20 ff.) des Buches wird insbesondere die technische Bedeutung zirkulärer Rückkoppelungs- oder Feedbackschleifen ausgeführt. Im Kapitel „3.5. Komplexe Anpassungsleistungen“ wird unter Berufung auf Norbert Wiener, einen wichtigen Pionier der Kybernetik, die Brücke zur Funktionsweise des Menschen und damit zur Feedback-Control-Theorie geschlagen:

3.5. Komplexe Anpassungsleistungen
Norbert Wiener beschrieb schon früh das Aufheben eines Bleistifts als einen Prozess, der nur durch Zirkularität erklärbar ist (vgl. Infobox S. 26). Er bezeichnete das Prinzip der Rückkoppelung als ‚einen wichtigen neuen Gedanken‘ der Neurophysiologie und erklärte frühere lineare Erklärungen als unhaltbar. Sie gingen davon aus, dass das Nervensystem als abgeschlossenes Organ ‚von den Sinnen Signale empfängt und diese in die Muskeln entlädt‘. Das Gehirn gibt in kybernetischem Denken nicht den Befehl dazu, einen Bleistift aufzuheben (Ursache), woraus folgt, dass der Arm gehorcht (Wirkung). Vielmehr beruht diese Aktivität auf Regelkreisen oder Feedback-Schleifen, welche die Elemente des Nerven-, Bewegungs- und Sinnessystems zirkulär verbinden. Eine grundlegende Rolle für das ganze Wahrnehmungssystem spielt dabei der kinästhetische oder propriozeptive Sinn (vgl. auch Infobox S. 56).“

In der Infobox auf Seite 26 werden die Aussagen, die im vorangehenden Text erwähnt werden, unter der Überschrift „Kybernetik und kinästhetische Sinneswahrnehmung“ in in ihrem gesamten Zusammenhang zitiert:

Kybernetik und kinästhetische Sinneswahrnehmung
Das folgende längere Zitat zeigt auf, dass Norbert Wiener auch die Dimension der Kybernetik erkannte, die in der Kinästhetik kultiviert und umgesetzt wird:
‚Angenommen, ich hebe einen Bleistift auf. Um dies zu tun, muss ich bestimmte Muskeln bewegen. Nur ein fachkundiger Anatom kennt alle diese Muskeln, und selbst er könnte die Handlung kaum als bewusste Willensanstrengung ausführen, indem er jeden betroffenen Muskel in der richtigen Reihenfolge kontrahieren würde. Es ist nicht unser Ziel, einzelne Muskeln zu bewegen, sondern den Bleistift aufzuheben. Sobald wir das einmal beschlossen haben, geht die Bewegung des Arms und der Hand auf eine solche Art vonstatten, dass man sagen könnte: Das Maß, um welches der Bleistift noch nicht aufgehoben ist, wird stufenweise verringert. Dieser Teil der Handlung geschieht nicht mit vollem Bewusstsein.
Um eine Handlung in dieser Weise durchzuführen, muss es eine – bewusste oder unbewusste – Meldung an das Nervensystem darüber geben, wie stark wir in jedem einzelnen Augenblick das Ziel verfehlt haben, den Bleistift aufzuheben. Diese Meldung mag zumindest teilweise visuell sein, im Allgemeinen aber ist sie eher kinästhetisch bzw. propriozeptiv, um einen Begriff zu verwenden, der zur Zeit in Mode ist. Wenn diese propriozeptiven Sinneseindrücke fehlen und wir sie nicht visuell oder auf andere Weise ersetzen, so sind wir unfähig, die Handlung des Bleistiftaufhebens auszuführen; wir befinden uns dann in einem Zustand, den man Ataxie nennt. Auf der anderen Seite ist eine übermäßige Rückkoppelung wahrscheinlich eine ebenso große Behinderung. In diesem Fall schießt die Muskelbewegung über ihr Ziel hinaus und gerät in eine unkontrollierbare Oszillation. Dieser Zustand, der häufig mit einer Verletzung des Kleinhirns in Verbindung gebracht wird, ist als Intentionstremor bekannt.‘“

Im Anschluss wird unter der Überschrift „Zirkularität als neues Erklärungsmuster der Bewegungsregulation“ die Fortsetzung des Zitats zitiert. In dieser erläutert Norbert Wiener die Bedeutung seines vorangehenden Beispiels des Bleistift-Aufhebens für das Verständnis der Funktionsweise des Menschen.

Zirkularität als neues Erklärungsmuster der Bewegungsregulation
In der Fortsetzung des Zitats betont Wiener das grundsätzlich neue Verständnis der Bewegungs- bzw. Verhaltensregulation und seine mögliche Tragweite in unterschiedlichsten Bereichen:
‚In diesem Falle nun besteht eine signifikante Parallele zwischen der Tätigkeit des Nervensystems und der Arbeitsweise bestimmter Maschinen. Das Prinzip der Rückkoppelung führt einen wichtigen neuen Gedanken in die Neurophysiologie ein. Das zentrale Nervensystem erscheint nicht länger als ein in sich abgeschlossenes Organ, welches von den Sinnen Signale empfängt und diese in die Muskeln entlädt. Ganz im Gegenteil sind einige seiner typischsten Aktivitäten nur als zirkuläre Prozesse erklärbar, d. h. als Prozesse, die vom Nervensystem in die Muskeln wandern und durch die Sinnesorgane wieder in das Nervensystem zurückgelangen. Dieser Befund scheint die Erforschung des Nervensystems als einem integrierten Ganzen einen deutlichen Schritt vorwärts zu bringen.
Der neue Ansatz, den die Kybernetik darstellt – eine Integration von Untersuchungen, die weder rein biologisch noch rein physikalisch sind, sondern vielmehr eine Kombination beider Wissensgebiete bilden –, hat schon jetzt unter Beweis gestellt, dass er bei der Lösung vieler Probleme der Technik, der Physiologie und höchstwahrscheinlich auch der Psychiatrie von Nutzen sein kann.‘ (Wiener 2001[2], S. 16).“

Quelle: European Kinaesthetics Association (Hg.) (2020): Kybernetik und Kinästhetik. Unter Mitarbeit von Stefan Marty-Teuber und Stefan Knobel. Linz, Winterthur, Siebnen: Verlag European Kinaesthetics Association, verlag lebensqualität. ISBN: 978-3-903180-22-2 (Verlag European Kinaesthetics Association) ISBN: 978-3-906888-02-6 (verlag lebensqualität). S. 24 und 26.

„Feedback Control“ in „Psychology – An Introduction to Behavior Science“ von K. U. und M. F. Smith (1973)

Das folgende Zitat stammt aus dem Buch „Psychlogie – Eine Einführung in die Verhaltenswissenschaft“ (1973) von Karl U. und Margaret F. Smith. Es ist eingebettet in das zweite Kapitel „Das sich verhaltende System“ des ersten Teils „Einführung“. Voraus geht eine Einführung in das Kapitel. Das Zitat ist der Text des anschließenden Unterkapitels „Feedback-Kontrolle“.

„Der Fachbegriff Feedback wurde zuerst von Ingenieuren verwendet, um den Prozess zu beschreiben, der gebraucht wurde, um maschinelle Operationen automatisch zu kontrollieren. In diesem technischen Sinne bedeutet Feedback ein zum Input der Maschine zurückkehrendes Signal, das den Effekt anzeigt, den ihr Output schon ausgegeben hat. Das Feedback-Signal wird dann gebraucht, um die Tätigkeit, welche die Maschine auch immer ausführt, zu regulieren oder zu korrigieren. Die Feedback-Kontrolle hat dieselbe allgemeine Bedeutung, ob sie nun auf lebende oder nicht lebende Systeme angewendet wird; sie meint die Selbstregulation der Aktivität auf der Basis von Informationen über die Effekte von früheren Aktivitäten.
Wie man vielleicht vermutet, ist die Feedback-Kontrolle in lebenden Systemen weitaus komplizierter als in nicht lebenden Systemen. Ein wichtiger Unterschied ist, dass das Verhalten von Lebewesen nicht nur eine Art von Signal generiert, wie z. B. das elektrische Signal, das von einer Maschine verwendet werden könnte, sondern eine Vielzahl verschiedener Arten von Feedback-Effekten, die in zeitlicher Hinsicht und in ihrer Signifikanz für das Individuum variieren. Wenn ein öffentlicher Redner sich an ein Publikum wendet, erhält er unmittelbar ein auditorisches Feedback vom Schall, den seine Sprechbewegungen produzieren. Er schaut sein Publikum auch an und hört ihm zu, um zu beobachten, was für Effekte seine Worte auf dieses haben. Von dessen Reaktion erhält er ein leicht verzögertes soziales Feedback. Wenn er ein aufmerksames, enthusiastisches Publikum hat, wird er eine Art von emotionalem Feedback erhalten, das zu Befriedigung oder Euphorie führt. Wenn sein Publikum ihn ausbuht, in die Zange nimmt oder einfach unaufmerksam ist, erhält er eine andere Art von emotionalem Feedback. Alle diese mehr oder weniger unmittelbaren Feedback-Effekte inklusive anderer, die wir nicht erwähnt haben, beeinflussen das Verhalten des Redners während des Ablaufs der Rede. Nach der Rede erhält er vielleicht zusätzliches Feedback durch Kommentare, die seine Zuhörer gemacht haben, und später erhält er vielleicht Briefe oder liest Zeitungsberichte über die Rede. Diese verzögerten Effekte werden seine anschließenden Handlungen und Einstellungen beeinflussen. Folglich sehen wir, dass sowohl unmittelbare als auch verzögerte Effekte in dem Sinne Feedback sind, dass sie Informationen über Verhalten abgeben und gebraucht werden, um anschließendes Verhalten zu kontrollieren.
Kybernetik
Wenn ein lebender Organismus oder eine Maschine die eigene Aktivität mit den Mitteln des Feedbacks reguliert, sprechen wir von geschlossen-schleifigen Systemen, weil die Feedback-Antwort eine Schleife von der Handlungskomponente zur Regulierungs- oder Kontrollkomponente vollführt. Ein Thermostat ist ein geläufiges geschlossen-schleifiges System, das automatisch eine Wärmequelle anschaltet, wenn ein Thermometer anzeigt, dass die Temperatur unter ein bestimmtes Niveau gesunken ist, und sie dann wieder abschaltet, sobald die Temperatur eine bestimmte Obergrenze erreicht hat.
Im Gegensatz zu geschlossen-schleifigen Systemen, werden offen-schleifige Systeme von einem externen Anwender oder einer reizauslösenden Bedingung kontrolliert. Ein nicht automatischer elektrischer Heizkörper ist ein offen-schleifiges System, das von jemandem, der den Schalter betätigt, kontrolliert wird. Es ist nicht empfindlich auf die Wärme des Raumes, sondern generiert Wärme, bis es jemand abstellt. Die lebensnahen Figuren in den Gärten von Paris, die Descartes die Idee des S-R-Reflexes gaben (siehe S. 11f.) waren offen-schleifige Systeme, die direkt von Reizen der Umgebung kontrolliert wurden. Lebende Individuen scheinen manchmal unter direkter Kontrolle von Reizen zu sein, aber sie sind keine richtigen offen-schleifige Systeme, da der Effekt eines Reizes auf einen sich verhaltenden Organismus z. T. von dem eigenen Verhalten des Organismus reguliert wird.
Die Feststellung, dass das Verhalten ein geschlossen-schleifiger Kontrollprozess ist, entstand aus den Erfahrungen der Psychologen und Ingenieuren während des Zweiten Weltkriegs, beim Kreieren von effektiven militärischen Maschinen und bei der Ausbildung von Menschen, die diese bedienen sollten. Wenn maschinelle Operationen effektiv von einem menschlichen Anwender kontrolliert werden sollen, sollte das ganze Mensch-Maschine-System als ein geschlossen-schleifiges System funktionieren, so wie in einer Folgeoperation. Folgen (tracking) meint einfach eine Folgehandlung, in der das Individuum einem sich bewegenden Reiz mit seinen Augen, Händen, anderen Körperteilen oder mit Werkzeugen, Instrumenten oder Maschinen folgt. Wenn wir ein Bild nachzeichnen, folgen wir seinem Umriss. Wenn wir ein fliegendes Objekt betrachten, folgen wir seinem Weg über den Himmel. Folgen ist eine Eigenschaft von solch spezialisierten militärischen Tätigkeiten wie denjenigen, die von Radaranwendern und Kanonieren vollzogen werden.
Eine Folgeleistung ist insofern eine geschlossen-schleifige Kontrolloperation, als das Individuum seine Bewegung durch das Beobachten der Position eines Folgeindikators im Verhältnis zu einem Ziel kontrolliert. Visuelles Feedback indiziert, welche Anpassungen der Folgende machen muss um seine Folgehandlung fortzuführen oder zu verbessern. Wenn das Ziel sich nach rechts bewegt, folgt der Folgende ihm nach rechts. Wenn das Ziel sich verlangsamt, verlangsamt sich der Folgende. Eine solche dynamische Leistung ist erfolgreich, weil sie von einem geschlossen-schleifigen System kontrolliert wird, das fortwährend Feedback-Effekte spürt.
Dem menschlichen Folgen ähnliche Funktionen werden manchmal von geschlossen-schleifigen Maschinen geleistet. Eine solche Maschine ist das Servosystem, das automatisch die Bewegung oder Position einer Welle, eines Hebels oder eines anderen mechanischen Teils mit den Mitteln des negativen Feedbacks, das Fehler anzeigt, korrigiert. Es hat eine Detektorkomponente, die die Differenz zwischen dem Output und der gewünschten Zielbedingung misst und dann ein Feedback-Signal an eine Kontrollkomponente sendet, die den Motor anweist den Output zu korrigieren. Das Feedback wird in diesem Fall negativ genannt, weil es den Fehler negiert, indem es eine Bewegung in gegensätzlicher Richtung zur Abweichung anordnet.
Folgeverhalten ist in verschiedener Weise analog zu den Handlungen eines Servosystems. Ein Servosystem kontrolliert einen energiereichen Output mit einem energiearmen Signal. Mit anderen Worten ist die Primärfunktion der Feedback-Schleife nicht Energie zu transportieren, sondern Informationen zu übermitteln. Auf ähnliche Weise kontrolliert das sich verhaltende System seine energiereichen Bewegungen mit den Mitteln der energiearmen Feedback-Signale, die durch das Nervensystem übermittelt werden. Der Detektor eines Servosystems ist analog zu einem Rezeptor, wie z. B. das Auge, das ebenfalls Differenzen zwischen der eigentlichen Reaktion und der Zielposition erkennt. Die Kontrollkomponente des Servosystems ist analog zum Gehirn, das das Feedback-Signal empfängt und einen Befehl an die motorische Komponente oder an einen Muskel sendet, um seine Reaktion anzupassen.
Die Ähnlichkeiten zwischen geschlossen-schleifigen Kontrolloperationen in lebenden und nicht lebenden Systemen führten zu einer interdisziplinären Wissenschaft, die Kybernetik genannt wird, ein Terminus, der vom griechischen Wort für Steuermann kommt (Wiener, 1948). Die Kybernetik beschäftigt sich mit der Kontrolle (Steuerung) und der Kommunikation sowohl in lebenden als auch in nicht-lebenden Systemen. Ihr Konzept der geschlossen-schleifigen Kontrolle und selbstgenerierten Feedbacks hat zu wichtigen Entwicklungen in allen Bereichen der Verhaltenswissenschaft geführt.
Spezialisierte Eigenschaften von sich verhaltenden Systemen
Die Analogie zwischen menschlichem Verhalten und den Handlungen einer Maschine, wie z. B. eines Servosystems, sollte nicht zu ernst genommen werden, da die sich verhaltenden Systeme eine Vielzahl von speziellen kybernetischen Eigenschaften besitzen. Eine dieser Eigenschaften wird in Kapitel 3 diskutiert werden; ein sich verhaltendes System kann nämlich in gewissen Maße die Reize, auf die es reagiert, selektieren und regulieren. Eine zweite wichtige Charakteristik von sich verhaltenden Systemen ist, dass sie viele unterschiedliche Arten von Aktivitäten gleichzeitig kontrollieren können. Sogar die einfachste Reaktion ist in ihrem Kontrollmuster keinesfalls einfach, da sie eine gleichzeitig koordinierte Kontrolle der Rezeptoren und verschiedener Arten von Körperbewegungen vor dem Hintergrund von Muskelzittern, Atmen, Herzschlag und anderen biologischen Aktivitäten benötigt. Reibungslose Koordination von diesen diversen Verhalten ist nur möglich aufgrund der geschlossen-schleifigen Natur des Reaktionssystems. Wenn externe Reize die Reaktion direkt in einer offen-schleifigen Art und Weise kontrollieren könnten, würde das Verhalten zu einem chaotischen Wirrwarr von unzusammenhängenden Ereignissen zusammenbrechen.
Eine Hauptcharakteristik von sich verhaltenden Systemen ist, dass sie lernen können. Als ein Resultat von Erfahrung und Übung können sie ihre Kontrollmuster verbessern und neue erlernen. Wir haben gesagt, dass ein Servosystem seinen Output mit den Mitteln des negativen Feedbacks, das Fehler anzeigt, kontrolliert; folglich muss ein solches System abwarten, bis ein Fehler oder eine Abweichung auftritt, bevor es eingreifen kann, um diese zu korrigieren. Im Gegensatz dazu ist ein System, das lernen kann, imstande, die wahrscheinlichsten Ereignisabläufe vorauszusagen und folglich seine Kontrolle in die Zukunft auszudehnen. Wenn man bspw. ein Objekt hochhebt, passt man die Kraft seiner Hebebewegung an das erwartete Gewicht an, so wie es durch frühere Erfahrungen mit ähnlichen Objekten beurteilt wird. Als Resultat von vielen Erfahrungen beim Hochheben kann man normalerweise die Bewegung im Voraus mit nur wenig oder keiner Korrektur auf der Basis von Fehler-Feedback genau kontrollieren. Die voraussagende Natur einer Hebebewegung ist sehr offensichtlich, wenn man ein Objekt als leichter oder schwerer beurteilt, als es tatsächlich ist. Wenn man einen leeren Koffer aufhebt, den man für voll hält, wird er beinahe vom Boden wegspringen. Wenn der Koffer mit Büchern gefüllt ist und man das nicht weiß, wird ihn die erste Hebebewegung vielleicht nicht bewegen. In diesem Fall passt man die Reaktion auf der Basis von Fehler-Feedback an. Viele geübte Bewegungen würden nie die Zielbedingung erreichen, wenn sie nur durch Fehler-Feedback kontrolliert würden. Wenn ein Baseballspieler rennt, um einen Ball zu fangen, rennt er nicht notwendigerweise zum Ball hin oder in die gleiche Richtung wie die Fluglinie des Balles; er rennt, um ihn an dem Platz abzufangen, an dem er nach seiner Voraussage herunterkommen wird. Eine Rohrkatze, die Wild verfolgt, springt nicht in Richtung der gegenwärtigen Position des Tieres, sondern in Richtung des Punktes, wo das fliehende Tier am Schluss des Sprunges der Katze sein wird. Lernen und Gedächtnis können in kybernetischen Termini als Prozesse zur Errichtung einer Feedforward-Steuerung (feedforward control) gedacht werden. Als Resultat der Erfahrung in der Interaktion mit der Umgebung kann man die wahrscheinliche Abfolge von Ereignissen voraussagen und seine Verhaltensabläufe weiter und weiter in die Zukunft hinein kontrollieren.“
(Übersetzung: Lukas Marty)

Quelle: Smith, Karl U.; Smith, Margaret F. (1973): Psychology. An Introduction to Behavior Science. Boston: Little, Brown and Company. Ohne ISBN. S. 28–30.

Vergleiche auch

Zirkularität
Wahrnehmung
Unterschied

Weiterführende Literatur

Hatch, Frank; Maietta, Lenny (2003): Kinästhetik. Gesundheitsentwicklung und menschliche Aktivitäten. Übersetzung: Ute Villwock, Elisabeth Brock. 2., komplett überarbeitete Auflage. München, Jena: Urban und Fischer. ISBN 978-3-437-31467-4, S. 18, 198.

Einzelnachweise

  1. Smith, Karl U.; Smith, Margaret (1973): Psychology. An Introduction to Behavior Science. Boston: Little, Brown and Company.
  2. Wiener, Norbert (2001): Futurum exactum. Ausgewählte Schriften zur Kybernetik und Kommunikationstheorie. Übersetzt von C. Kassung. Herausgegeben von Bernhard Dotzler. Wien, New York: Springer. ISBN 978-3-211-83467-1.