Wahrnehmung: Unterschied zwischen den Versionen

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Quelle: '''European Kinaesthetics Association (Hg.) (2023):''' Kinaesthetics. Lernen und Bewegungskompetenz. Linz, Winterthur: Verlag European Kinaesthetics Association. ISBN 978-3-903180-01-7. S. 46.
 
Quelle: '''European Kinaesthetics Association (Hg.) (2023):''' Kinaesthetics. Lernen und Bewegungskompetenz. Linz, Winterthur: Verlag European Kinaesthetics Association. ISBN 978-3-903180-01-7. S. 46.
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=== Wahrnehmung in „Aufbaumodul Demenz 1: Sich und die Welt wahrnehmen – Arbeitsunterlagen“ ===
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Die folgenden Zitate stammen aus den Arbeitsunterlagen „Aufbaumodul Demenz 1: Sich und die Welt wahrnehmen“. Das erste Zitat stammt aus der „Einführung in das Aufbaumodul Demenz 1“.
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:'''''„<big>‚Sie lebt in einer anderen Welt‘</big>'''<br>Der Zustand einer Person mit Demenz wird oft mit den Worten beschrieben, dass sie in einer anderen Welt lebe. Damit will jemand ausdrücken, dass seine eigene Wahrnehmung der Welt bzw. die ‚normale‘, allgemein gängige Wahrnehmung offensichtlich nicht mit derjenigen der betreffenden Person mit Demenz übereinstimmt. Was für diese wahr und richtig ist – woran sie auch ihr ganzes Verhalten orientiert – entspricht immer wieder weder den persönlichen noch den gängigen Vorstellungen und Normen.
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Eine große Herausforderung für die Bezugspersonen ist, dass sich das Alltagsverhalten von Menschen mit Demenz verändert und die gewohnten Bahnen verlässt. Gleichzeitig wird die Kommunikation darüber, wie man den gemeinsamen Alltag gestalten möchte, immer schwieriger. Eine zentrale Grundlage dieser Veränderungen ist die Wahrnehmung. Eine Person mit Demenz handelt so, wie sie sich selbst, ihr Umfeld und die aktuelle Situation wahrnimmt, wie sie es als richtig und wahr empfindet. Sie handelt nicht aus Unvermögen oder Bösartigkeit so, wie sie handelt, sondern in einer für sie sinnvollen Weise. Diese beruht darauf, wie sich ihr persönlich gerade jetzt die Welt darstellt – und das kann im Gegensatz dazu stehen, wie ihre Bezugspersonen die ‚gleiche‘ Welt wahrnehmen.
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== Weiterführende Literatur und Medien ==
 
== Weiterführende Literatur und Medien ==

Version vom 25. April 2024, 16:09 Uhr

Status mit Fachliteratur angelegt
AutorIn/RedakteurIn N. N./Dagmar Panzer
Letzte Änderung 25.04.2024


Zusammenfassung:
Dieser Artikel ist mit Fachliteratur angelegt. Er besteht aus einschlägigen Zitaten zum Thema Wahrnehmung. Erläutert wird ihre Abhängigkeit von den Sinnessystemen, die einem Lebewesen zur Verfügung stehen, und insbesondere vom wahrnehmenden Individuum. Wahrnehmung darf nicht als eine objektive Abbildung der Welt verstanden werden, sondern ist ein zirkulärer Prozess des in Bezug auf Information geschlossenen Individuums.

1 Wahrnehmung in „Kinaesthetics – Lernen und Bewegungskompetenz“

Das folgende Zitat stammt aus dem Buch „Kinaesthetics – Lernen und Bewegungskompetenz“, das als Arbeitsunterlage in Kinaesthetics-Aufbaukursen verwendet wird. Das Zitat ist in das vierte Kapitel „Theoretische Grundlagen von Kinaesthetics“ eingebettet. Die vorausgehenden Unterkapitel „Leben bedeutet Bewegung“ und „Schwerkraft und Bewegung“ beleuchten die grundlegende Bedeutung der Bewegung und der Schwerkraft für das Leben. Das dritte Unterkapitel „Zirkuläre Selbstregulationsprozesse als Grundlage des menschlichen Verhaltens“ beschreibt die Zirkularität bzw. die Feedback-Control-Theorie als Verhaltensgrundlage. Das Zitat ist der Text des anschließenden vierten Kapitels „Geschlossenheit und Individualität der Wahrnehmung“.

Wer nimmt bei dieser Begegnung was wahr? Zeichnen Sie mit Pfeilen ein, worauf die einzelnen Akteure im gleichen Moment ihre Aufmerksamkeit richten könnten.
4.4. Geschlossenheit und Individualität der Wahrnehmung
Es leuchtet ein, dass eine Ameise, eine Fledermaus oder ein Delphin die Welt wohl ganz anders wahrnehmen als wir. Neurobiologische Forschungen zeigen auf, dass die Wahrnehmung jedes Lebewesens davon abhängig ist, über welche Sinnessysteme es verfügt und für welches Spektrum von Reizen diese Systeme aufgrund ihrer Struktur empfindlich sind. Grundsätzlich vermittelt die gesamte Sinneswahrnehmung einem Lebewesen ein ‚stabiles‘ und zusammenhängendes Bild seiner selbst und seiner Umgebung. Das Zusammentreffen mit Reizen (Licht, Schall, Berührung, Bewegung usw.) ist also eine Voraussetzung der Wahrnehmung. Die Reize bestimmen aber nicht, wie ein Lebewesen sie wahrnimmt. In wissenschaftlicher Formulierung spricht man davon, dass lebende Systeme prinzipiell ‚informationally closed‘, d. h., in Bezug auf Information geschlossen sind. Die Wahrnehmung darf nicht als eine objektive Abbildung einer gegebenen Umgebung betrachtet werden. Vielmehr ‚errechnet‘ jedes Individuum fortlaufend das Bild seiner Welt. Wie im vorangehenden Kapitel beschrieben, vollzieht sich dieses Errechnen in zirkulären Prozessen, an denen nicht nur das Wahrnehmungssystem und das Nervensystem, sondern ebenso das Bewegungssystem beteiligt sind.
Grundsätzlich ist somit davon auszugehen, dass jeder einzelne Mensch die Welt auf seine individuelle Art und Weise wahrnimmt. Natürlich ist es für die Entwicklung des Menschen wichtig, dass er lernt, die Welt über Interaktion und Kommunikation ‚gleich‘ oder ähnlich wie seine Eltern oder Bezugspersonen wahrzunehmen. Da wir ähnliche Strukturen aufweisen, die eine sehr differenzierte Interaktion und Kommunikation ermöglichen, können wir wahrscheinliche Aussagen darüber machen, wie andere Menschen die Welt erleben. Doch insbesondere im Kontakt mit Menschen mit Demenz oder Behinderung, aber auch in Alltagssituationen kann sich uns der Gedanke aufdrängen, dass ein anderer Mensch die Welt offensichtlich anders wahrnimmt als wir selbst.“

Text der zugehörigen Infobox „Wie entsteht die Welt, die ich wahrnehme?“:

„Der Neurobiologe F. J. Varela (1946–2001) formulierte das Resultat seiner Forschungsarbeiten über das Sehen in einem Interview ungefähr so: ‚Ist da draußen etwas (z. B. Licht), das zu meinem Auge kommt? – Nein: Es gibt keine Beziehung zwischen dem Licht und dem Farbsehen. Die Unterschiede, die wir wahrnehmen und als verschiedene Farben bezeichnen, spiegeln nicht eine äußere, objektive Realität, sondern beruhen auf der Art und Weise, wie wir strukturell ‚zusammengesetzt‘ sind.
Wie entsteht die Welt, die ich wahrnehme? – Im ‚Zusammenprall‘ (‚clash‘) zwischen unserer Struktur und dem Milieu, in das wir buchstäblich eintauchen, entsteht die Welt. Wir sind so gebaut, dass aus dem Zusammentreffen der Aktivitäten des Gehirns und der Aktivitäten des Auges ein stabiles Bild der Welt, eine konstante visuelle Realität entsteht. Die Funktion des Hirns kann nicht als Informationsaufnahme beschrieben werden.‘ (Reichle 2005[1])“

Quelle: European Kinaesthetics Association (Hg.) (2023): Kinaesthetics. Lernen und Bewegungskompetenz. Linz, Winterthur: Verlag European Kinaesthetics Association. ISBN 978-3-903180-01-7. S. 46.

1.1 Wahrnehmung in „Aufbaumodul Demenz 1: Sich und die Welt wahrnehmen – Arbeitsunterlagen“

Die folgenden Zitate stammen aus den Arbeitsunterlagen „Aufbaumodul Demenz 1: Sich und die Welt wahrnehmen“. Das erste Zitat stammt aus der „Einführung in das Aufbaumodul Demenz 1“.

‚Sie lebt in einer anderen Welt‘
Der Zustand einer Person mit Demenz wird oft mit den Worten beschrieben, dass sie in einer anderen Welt lebe. Damit will jemand ausdrücken, dass seine eigene Wahrnehmung der Welt bzw. die ‚normale‘, allgemein gängige Wahrnehmung offensichtlich nicht mit derjenigen der betreffenden Person mit Demenz übereinstimmt. Was für diese wahr und richtig ist – woran sie auch ihr ganzes Verhalten orientiert – entspricht immer wieder weder den persönlichen noch den gängigen Vorstellungen und Normen.

Eine große Herausforderung für die Bezugspersonen ist, dass sich das Alltagsverhalten von Menschen mit Demenz verändert und die gewohnten Bahnen verlässt. Gleichzeitig wird die Kommunikation darüber, wie man den gemeinsamen Alltag gestalten möchte, immer schwieriger. Eine zentrale Grundlage dieser Veränderungen ist die Wahrnehmung. Eine Person mit Demenz handelt so, wie sie sich selbst, ihr Umfeld und die aktuelle Situation wahrnimmt, wie sie es als richtig und wahr empfindet. Sie handelt nicht aus Unvermögen oder Bösartigkeit so, wie sie handelt, sondern in einer für sie sinnvollen Weise. Diese beruht darauf, wie sich ihr persönlich gerade jetzt die Welt darstellt – und das kann im Gegensatz dazu stehen, wie ihre Bezugspersonen die ‚gleiche‘ Welt wahrnehmen.


2 Weiterführende Literatur und Medien

  • Foerster, Heinz von; Pörksen, Bernhard (2019): Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker. 12. Auflage. Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg (Systemische Horizonte). ISBN 978-3-89670-646-1.
    Auf das Thema Wahrnehmung geht insbesondere das Kapitel „I.1. Biologie der Wahrnehmung“ (S. 15 bis 28) ein.
  • Bateson, Gregory (2014): Geist und Natur. Eine notwendige Einheit. Übersetzt von Hans Günter Holl. 10. Auflage. Frankfurt a. M.: Suhrkamp (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 691). ISBN 978-3-518-28291-3. S. 39–51.
  • Maturana, Humberto R.; Varela, Francisco J. (2015): Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens. Aus dem Spanischen von Kurt Ludewig in Zusammenarbeit mit dem Institut für systemische Studien e. V. in Hamburg. 6. Auflage. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag (Fischer Taschenbücher 17855).
Die Wahrnehmung wird im ersten Kapitel „Das Erkennen erkennen“ u. a. mit den Stichworten „Der blinde Fleck“ (S. 21), „Wir sehen nicht, dass wir nicht sehen“ (S. 23), „Farbe: keine Eigenschaft der Dinge“ (S. 24), „Wahrnehmung und individuelle Struktur“ (S. 27) thematisiert.

3 Vergleiche auch

4 Einzelnachweise

  1. Reichle, Franz (2005): Monte Grande. Francisco Varela. DVD (Englisch und Deutsch, DVD-9, NTSC, 16:9, 80 Minuten). Untertitel: Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Griechisch. 2 Stunden zusätzliche Interviews mit englischen und deutschen Untertiteln. Zürich: Franz Reichle und T&C Film. ISAN: 0000-0000-CDF1-0000-0-0000-0000-3.