Kybernetik (Begriff): Unterschied zwischen den Versionen

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: '''''Cybernetics.''''' ''Die junge Wissenschaft der Kybernetik ist eine zentrale theoretische Grundlage von Kinaesthetics. Das Kunstwort ‚cybernetics’ ist wie ‚mathematics’ (Mathematik), ‚physics’ (Physik) oder auch Kinaesthetics ein Plural, der im Englischen mit dem Singular des Verbs konstruiert wird (cybernetics is beautiful). Es wurde vom amerikanischen Mathematiker N. Wiener (1894–1964) vorgeschlagen. Wie er im gleichnamigen Buch von 1948 schreibt, schien den PionierInnen der Kybernetik dieser Begriff treffend ihr gemeinsames Interesse an Steuerungs- und Regelungsvorgängen sowie an der Nachrichtentheorie zu bezeichnen. Sie hatten ihn bewusst aus dem griechischen Wort ‚kybernétes’ (Steuermann) im Sinne einer ‚Steuermannskunst, -wissenschaft’ gebildet. Der Begriff gefiel ihnen auch darum, weil der schottische Physiker J. C. Maxwell 1868 die früheste bedeutende Beschreibung der Rückkoppelungsmechanismen von ‚governors’ (Fliehkraftregler) verfasst hatte und deren Bezeichnung über das lateinische Wort ‚gubernator’ (Steuermann) auf den griechischen ‚kybernétes’ zurückgeht. Als letzten Grund für die Begriffswahl nennt N. Wiener die Tatsache, dass die Steuerungsmaschinen von Schiffen zu den ersten und am besten entwickelten Feedback-Mechanismen gehören.''
 
: '''''Cybernetics.''''' ''Die junge Wissenschaft der Kybernetik ist eine zentrale theoretische Grundlage von Kinaesthetics. Das Kunstwort ‚cybernetics’ ist wie ‚mathematics’ (Mathematik), ‚physics’ (Physik) oder auch Kinaesthetics ein Plural, der im Englischen mit dem Singular des Verbs konstruiert wird (cybernetics is beautiful). Es wurde vom amerikanischen Mathematiker N. Wiener (1894–1964) vorgeschlagen. Wie er im gleichnamigen Buch von 1948 schreibt, schien den PionierInnen der Kybernetik dieser Begriff treffend ihr gemeinsames Interesse an Steuerungs- und Regelungsvorgängen sowie an der Nachrichtentheorie zu bezeichnen. Sie hatten ihn bewusst aus dem griechischen Wort ‚kybernétes’ (Steuermann) im Sinne einer ‚Steuermannskunst, -wissenschaft’ gebildet. Der Begriff gefiel ihnen auch darum, weil der schottische Physiker J. C. Maxwell 1868 die früheste bedeutende Beschreibung der Rückkoppelungsmechanismen von ‚governors’ (Fliehkraftregler) verfasst hatte und deren Bezeichnung über das lateinische Wort ‚gubernator’ (Steuermann) auf den griechischen ‚kybernétes’ zurückgeht. Als letzten Grund für die Begriffswahl nennt N. Wiener die Tatsache, dass die Steuerungsmaschinen von Schiffen zu den ersten und am besten entwickelten Feedback-Mechanismen gehören.''
  
: '''''Ein Schiff steuern.''''' '' Mit großer Wahrscheinlichkeit kannten die Wissenschafter, die bei der Taufe der Kybernetik mitredeten, die griechische Wortfamilie von ‚kybernao’ (ein Schiff steuern) aus ihrer gymnasialen Ausbildungszeit, genauer aufgrund ihrer Lektüre der ‚Ili- as’ und der ‚Odyssee’. Diese beiden Epen werden dem blinden Sänger Homer (8. Jahrhundert. v. Chr.) zugeschrieben, gehören zu den frühesten Zeugnissen der europäischen Literatur und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zur höheren Schulbildung. Und die ‚Odyssee’ berichtet ja hauptsächlich davon, wie es Odysseus zehn Jahre lang nicht gelingt, über das Meer seine geliebte Penelope und die Heimatinsel Ithaka anzusteuern. Vielleicht erinnerten sich die Taufpaten der Kybernetik sogar daran, dass der Steuermann Palinurus im römischen Epos ‚Aeneis’ auf Veranlassung des erzürnten Neptuns als Opfer für alle anderen mit seinem Steuerruder in die Tiefe entrissen wird. Vielleicht auch daran, dass Philosophen, Politiker und Redner die Wirksamkeit der übertragenen Verwendung – z. B. ‚den Staat sicher
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: '''''Ein Schiff steuern.''''' '' Mit großer Wahrscheinlichkeit kannten die Wissenschafter, die bei der Taufe der Kybernetik mitredeten, die griechische Wortfamilie von ‚kybernao’ (ein Schiff steuern) aus ihrer gymnasialen Ausbildungszeit, genauer aufgrund ihrer Lektüre der ‚Ilias’ und der ‚Odyssee’. Diese beiden Epen werden dem blinden Sänger Homer (8. Jahrhundert. v. Chr.) zugeschrieben, gehören zu den frühesten Zeugnissen der europäischen Literatur und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zur höheren Schulbildung. Und die ‚Odyssee’ berichtet ja hauptsächlich davon, wie es Odysseus zehn Jahre lang nicht gelingt, über das Meer seine geliebte Penelope und die Heimatinsel Ithaka anzusteuern. Vielleicht erinnerten sich die Taufpaten der Kybernetik sogar daran, dass der Steuermann Palinurus im römischen Epos ‚Aeneis’ auf Veranlassung des erzürnten Neptuns als Opfer für alle anderen mit seinem Steuerruder in die Tiefe entrissen wird. Vielleicht auch daran, dass Philosophen, Politiker und Redner die Wirksamkeit der übertragenen Verwendung – z. B. ‚den Staat sicher
 
durch alle Stürme steuern’ u. Ä. – entdeckten und dieses Bild immer wieder gebrauchten.''
 
durch alle Stürme steuern’ u. Ä. – entdeckten und dieses Bild immer wieder gebrauchten.''
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: '''''Isolierte Wurzel.''''' ''Die Fähigkeit, ein Schiff bauen und sicher über ein Gewässer steuern oder gar segeln zu können, war eine zentrale Triebfeder der gesamten kulturellen Entwicklung der Menschheit. Von wem erlernten die alten Griechen diese Fähigkeit? Wenn wir den sprachlichen Wurzeln nach- gehen, stellen wir fest, dass ein
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eindeutiger Beleg einer Verwandtschaft in einer anderen indoeuropäischen Sprache fehlt. In dieser großen Sprachfamilie, die sich von der Westküste des heutigen Europas bis nach Indien erstreckte, verwendete niemand ein Wort, das auf dieselbe Wurzel zurückgeht. Das legt die Vermutung nahe, dass die Griechen die Steuermannskunst von Menschen lernten, die keine indo-europäische Sprache sprachen. Wer es war, ist meines Wissens unbekannt.''

Version vom 4. Oktober 2023, 13:18 Uhr

Status mit Fachliteratur angelegt
AutorIn/RedakteurIn Stefan Marty-Teuber/Dagmar Panzer
Letzte Änderung 04.10.2023


Zusammenfassung:
Dieser Artikel ist mit Fachliteratur angelegt. Er besteht aus einschlägigen Zitaten zur Herkunft und Bedeutung des Begriffs Kybernetik. Das Zitat ist ein Artikel zum Thema aus der Zeitschrift „lebensqualität“.

Kybernetik in der Zeitschrift „lebensqualität“

Das folgende Zitat stammt aus der Zeitschrift „lebensqualität“. Es ist ein Beitrag zu einer Serie mit dem Titel „wörterwurzeln“. Er ist mit „Kybernetik: Von der Steuermannskunst zum Cybernet“ überschrieben.

"Die Herkunft vieler Wörter bietet oft überraschende Geschichten und Zusammenhänge, die weit in die indo-europäische Sprachgeschichte zurückreichen. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter der European Kinaesthetics Association (EKA) und Altphilologe/Indogermanist erzählt Stefan Marty-Teuber von den Wurzeln von Wörtern, über die er bei seiner Tätigkeit stolpert.
Cybernetics. Die junge Wissenschaft der Kybernetik ist eine zentrale theoretische Grundlage von Kinaesthetics. Das Kunstwort ‚cybernetics’ ist wie ‚mathematics’ (Mathematik), ‚physics’ (Physik) oder auch Kinaesthetics ein Plural, der im Englischen mit dem Singular des Verbs konstruiert wird (cybernetics is beautiful). Es wurde vom amerikanischen Mathematiker N. Wiener (1894–1964) vorgeschlagen. Wie er im gleichnamigen Buch von 1948 schreibt, schien den PionierInnen der Kybernetik dieser Begriff treffend ihr gemeinsames Interesse an Steuerungs- und Regelungsvorgängen sowie an der Nachrichtentheorie zu bezeichnen. Sie hatten ihn bewusst aus dem griechischen Wort ‚kybernétes’ (Steuermann) im Sinne einer ‚Steuermannskunst, -wissenschaft’ gebildet. Der Begriff gefiel ihnen auch darum, weil der schottische Physiker J. C. Maxwell 1868 die früheste bedeutende Beschreibung der Rückkoppelungsmechanismen von ‚governors’ (Fliehkraftregler) verfasst hatte und deren Bezeichnung über das lateinische Wort ‚gubernator’ (Steuermann) auf den griechischen ‚kybernétes’ zurückgeht. Als letzten Grund für die Begriffswahl nennt N. Wiener die Tatsache, dass die Steuerungsmaschinen von Schiffen zu den ersten und am besten entwickelten Feedback-Mechanismen gehören.
Ein Schiff steuern. Mit großer Wahrscheinlichkeit kannten die Wissenschafter, die bei der Taufe der Kybernetik mitredeten, die griechische Wortfamilie von ‚kybernao’ (ein Schiff steuern) aus ihrer gymnasialen Ausbildungszeit, genauer aufgrund ihrer Lektüre der ‚Ilias’ und der ‚Odyssee’. Diese beiden Epen werden dem blinden Sänger Homer (8. Jahrhundert. v. Chr.) zugeschrieben, gehören zu den frühesten Zeugnissen der europäischen Literatur und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zur höheren Schulbildung. Und die ‚Odyssee’ berichtet ja hauptsächlich davon, wie es Odysseus zehn Jahre lang nicht gelingt, über das Meer seine geliebte Penelope und die Heimatinsel Ithaka anzusteuern. Vielleicht erinnerten sich die Taufpaten der Kybernetik sogar daran, dass der Steuermann Palinurus im römischen Epos ‚Aeneis’ auf Veranlassung des erzürnten Neptuns als Opfer für alle anderen mit seinem Steuerruder in die Tiefe entrissen wird. Vielleicht auch daran, dass Philosophen, Politiker und Redner die Wirksamkeit der übertragenen Verwendung – z. B. ‚den Staat sicher

durch alle Stürme steuern’ u. Ä. – entdeckten und dieses Bild immer wieder gebrauchten.

Isolierte Wurzel. Die Fähigkeit, ein Schiff bauen und sicher über ein Gewässer steuern oder gar segeln zu können, war eine zentrale Triebfeder der gesamten kulturellen Entwicklung der Menschheit. Von wem erlernten die alten Griechen diese Fähigkeit? Wenn wir den sprachlichen Wurzeln nach- gehen, stellen wir fest, dass ein

eindeutiger Beleg einer Verwandtschaft in einer anderen indoeuropäischen Sprache fehlt. In dieser großen Sprachfamilie, die sich von der Westküste des heutigen Europas bis nach Indien erstreckte, verwendete niemand ein Wort, das auf dieselbe Wurzel zurückgeht. Das legt die Vermutung nahe, dass die Griechen die Steuermannskunst von Menschen lernten, die keine indo-europäische Sprache sprachen. Wer es war, ist meines Wissens unbekannt.