Bewegungskompetenz: Unterschied zwischen den Versionen

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Bewegungskompetenz bildet die individuelle Sensibilität
 
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[[Unterschieden]] wird in Kinaesthetics im Kontext der
 
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Steuerung der Bewegung in der [[Schwerkraft]] betrachtet.
 
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Version vom 6. Dezember 2016, 14:59 Uhr

Der Begriff Bewegungskompetenz spielt eine zentrale Rolle in Kinaesthetics. Er wird in diesem Rahmen folgendermaßen verstanden: für Menschen und Tiere ist es überlebenswichtig und eine Grundbedingung des Lebens, ihre Bewegungskompetenz bzw. die individuellen Möglichkeiten der eigenen Bewegung zu entwickeln. Da wir uns selbst im Laufe des Lebens verändern und ebenso unsere Lebensumstände, müssen wir lernen, unsere Bewegung an diese Veränderungen und Prozesse anzupassen, um zu überleben. Unsere Bewegungskompetenz ist somit besonders dann gefordert, wenn sich unsere eigenen Voraussetzungen durch unsere Entwicklung, durch Erkrankung oder Unfall ändern oder wenn wir unter veränderten, neuen und ungewohnten Bedingungen ein Ziel erreichen wollen. In ähnlicher Weise erfordern auch die Interaktionen mit anderen Menschen ständige spontane Anpassungsleistungen und stellen eine besondere Herausforderung an unsere Bewegungskompetenz dar.

Darum betrachtet Kinaesthetics grundsätzlich die Bewegungskompetenz, d. h. die Gestaltungs- und Anpassungsmöglichkeiten der eigenen Bewegung, aus der Perspektive der Gesundheits- und Persönlichkeitsentwicklung. Die Entwicklung der Bewegungskompetenz ist ein individueller Lern- und Erfahrungsprozess, der die grundlegenden Möglichkeiten und Bedingungen der Bewegung betrifft. Jeder Mensch hat eine erfahrungsbasierte, bewusste oder unbewusste Lerngeschichte bezüglich der eigenen, grundlegenden Bewegungsmöglichkeiten. Dabei geht es um Fragen wie: „Wo habe ich welchen Spielraum in meinem Körper? Wie kann ich mit einer angemessenen Anstrengung meine Bewegung in der Schwerkraft kontrollieren? Wie hängt meine Anstrengung mit der Zeit, die ich mir für eine Bewegung nehme, und mit dem Raum, den ich nutze, zusammen?“

Die Entwicklung der Bewegungskompetenz geht immer mit der Entwicklung von mehr oder weniger Wahlmöglichkeiten einher. Der Variantenreichtum, mit dem wir unsere Bewegung – bewusst oder unbewusst – in ganz alltäglichen Aktivitäten an die jeweilige Situation anpassen, beeinflusst wesentlich die Entwicklung unserer Bewegungskompetenz und dadurch unsere Gesundheitsentwicklung und Lebensqualität. Konkret zeigt sich also eine hohe Bewegungskompetenz in der individuellen und situativ angepassten Vielfalt an Bewegungsmustern im Alltag und darin, dass diese produktiv weiterentwickelt werden können. Vor diesem Hintergrund grenzt sich der Begriff Bewegungskompetenz von der quantitativen Betrachtung der Bewegungsleistung (z. B. „Wie schnell kann ich laufen, wie hoch springen?“) ab. Desgleichen bemisst sich Bewegungskompetenz nicht daran, ob jemand spezifische motorische Fertigkeiten (z. B. Schreiben, Klavierspielen, Tanzen, Schreinern) lernen kann. Darum kann nach dem Verständnis von Kinaesthetics auch ein Mensch, der aufgrund einer Behinderung weder laufen noch schreiben lernen kann, mit seinen individuellen Voraussetzungen in der selbstständigen oder unterstützten Bewältigung seines Alltags eine sehr hohe Bewegungskompetenz entwickeln.

Zusammenfassend bezeichnet der Begriff Bewegungskompetenz also die Kompetenz eines Menschen, sein Potenzial an grundlegenden Bewegungsmöglichkeiten bei der Verwirklichung einer persönlichen oder gemeinsamen Absicht im gegebenen Moment entwicklungs- und gesundheitsfördernd ausschöpfen zu können.

1 Bewegungskompetenz als Lernprozess

Bewegungskompetenz ist dem Menschen nicht als feste Größe angeboren, die sich in vorgegebenen Bahnen entwickelt. Jeder Mensch entwickelt seine Bewegungskompetenz individuell, einesteils für sich allein, besonders aber durch seine Interaktionen mit anderen Menschen. Dies wird in den ersten Lebensjahren sehr deutlich, in denen das Kind hauptsächlich durch seine Bewegungsinteraktionen mit den Eltern, Betreuungspersonen und anderen Kindern seine Bewegungsmöglichkeiten entdeckt und seine eigenen Bewegungsmuster entwickelt. Die Entwicklung der Bewegungskompetenz ist ein lebenslanger, ununterbrochener Lernprozess, der uns in der Regel nicht bewusst ist. Wie bewusst und wie weit ein einzelner Mensch seine Bewegungskompetenz entwickelt und zu welchen Fertigkeiten er sie nutzt, hängt also mit seiner individuellen Lerngeschichte und der Geschichte seiner Bewegungsentwicklung zusammen. „Bewusst“ meint dabei die gezielte Beschäftigung mit der eigenen Bewegung oder eine gelenkte Achtsamkeit, ob sie nun sprachlich reflektiert wird oder nicht.

Eine Grundlage für die Entwicklung der Bewegungskompetenz bildet die individuelle Sensibilität eines Menschen für die Wahrnehmung von Unterschieden in der eigenen Bewegung. Diese Wahrnehmung von Unterschieden wird in Kinaesthetics im Kontext der Steuerung der Bewegung in der Schwerkraft betrachtet. Gemäß der Feedback-Control-Theorie beruht die Bewegungssteuerung auf dem Zusammenspiel des Bewegungs-, Wahrnehmungs- und Nervensystems. Alle Prozesse und Aktivitäten des Lebens – vom Herzschlag, der Verdauung, dem Sitzen, dem Gehen bis hin zum Sprechen und Denken – beruhen direkt auf der willkürlich steuerbaren Bewegung oder sind aufs Engste mit ihr verbunden. Darum ist die Entwicklung der Bewegungskompetenz eine grundlegende und unumgehbare Herausforderung des Lebens und steht in einem engen Zusammenhang mit der persönlichen Gesundheitsentwicklung.

2 Komponenten der Bewegungskompetenz

Im Folgenden werden aus der Perspektive der Erfahrbarkeit die Komponenten und Faktoren beschrieben, die im Zusammenspiel die Bewegungskompetenz ausmachen und helfen, sie bewusst zu entwickeln. Auf der Grundlage der Feedback-Control-Theorie beleuchten die ersten beiden Komponenten dieses Modells die Faktoren der Sensibilisierung der Wahrnehmung und der Entwicklung einer differenzierten Bewegung, die dritte Komponente die Faktoren der Verhaltenssteuerung. Sie werden aus der Ich-Perspektive dargestellt. Differenziert wahrnehmen: Die Verfeinerung der Sensibilität meiner Bewegungswahrnehmung Ich kann Unterschiede, die ich durch die Ausführung oder Variation einer Aktivität selbst erzeuge, durch eine fokussierte Lenkung der Achtsamkeit bewusst wahrnehmen. Ich kann einen solchen Fokus in verschiedenen Aktivitäten über einen immer längeren Zeitraum halten. Andererseits bin ich imstande, den Fokus während einer Aktivität bewusst zu wechseln. Dadurch nehme ich Eigenschaften meiner eigenen Bewegung in einer einzelnen Aktivität unter verschiedenen Blickwinkeln wahr. Differenziert variieren: Die Erweiterung meines persönlichen Gestaltungsspielraumes Ich kann eine Aktivität bewusst gestalten, diese Gestaltung variieren und mich mit ihr sowie den zugrunde liegenden Bewegungsmustern auseinandersetzen. Ich bin in der Lage, Aktivitäten bewusst z. B. schneller oder langsamer, mit mehr oder weniger Anstrengung auszuführen oder die Richtung der Bewegung meiner Körperteile bewusst zu variieren. Viabel handeln: Die Entwicklung produktiver Verhaltensmöglichkeiten Ich kann gleichzeitig eine komplexe Herausforderung des Alltags bewältigen, auf die Qualität meiner eigenen Bewegung achten und dadurch mein Verhalten passend und zum Ziel führend steuern. Ich bin imstande, meine eigene Bewegung bewusst und produktiv an meine individuellen Voraussetzungen, an diejenigen von InteraktionspartnerInnen sowie an die Absicht und den Verlauf der Situation anzupassen. Ich bin in der Lage, die Achtsamkeit auf meine Bewegung im Verlauf einer Situation differenziert zu lenken und so die eigene Bewegung möglichst optimal am Kriterium von Lernen und Entwicklung zu orientieren.